Risikofaktoren Blasenkarzinom
Das Harnblasenkarzinom ist eine der häufigsten malignen Tumorerkrankungen weltweit.
Verschiedene Untersuchungen belegen die Altersabhängigkeit und das tendenziell höhere Erkrankungsrisiko
für das männliche Geschlecht. Noch immer sterben jährlich weltweit über 130.000 Menschen an diesem Tumor.
Neben einer genetischen Disposition ist eine Reihe von karzinogenen Substanzen identifiziert. An erster
Stelle der karzinogenen Noxen steht der Zigarettenrauch, aber auch Personen mit beruflich bedingter Exposition
gegenüber verschiedenen Substanzen haben ein erhöhtes Risiko, an einem Harnblasenkarzinom zu erkranken.
Hierunter fallen auch aromatische Amine, deren karzinogenes Potenzial eindeutig belegt ist. Daher ist das
Harnblasenkarzinom für bestimmte Berufe als Berufserkrankung anerkannt.
Auch chronisch entzündliche Veränderungen der ableitenden Harnwege können zu einem erhöhten Erkrankungsrisiko
führen, ebenso wie eine medizinisch erforderliche Therapie: So sind der langjährige Phenacetin-Gebrauch,
aber auch der Einsatz einer Strahlentherapie mit einem erhöhten Tumorrisiko vergesellschaftet.
Aufgrund der regional variierenden Belastung des Trinkwassers durch chlorierte Nebenprodukte, aber auch
Giftstoffe wie Arsen, ist eine Beteiligung bei der Harnblasenkarzinomentstehung nicht ausgeschlossen. Andere
in Verdacht gekommene Nahrungsmittel wie Kaffee oder künstliche Süßstoffe induzieren das Wachstum maligner
Blasentumoren hingegen nicht, nach dem Deutschen Reinheitsgebot gebrautes Bier ebenfalls nicht.
Es wird davon ausgegangen, dass 50% der durch ein Harnblasenkarzinom verursachten Todesfälle bei Männern
und 25% bei Frauen – das sind in Deutschland ca. 2700 Fälle pro Jahr –vermeidbar wären (Becker et al. 1997).
Das Harnblasenkarzinom ist häufig. Jährlich erkranken in Deutschland über 25.000 Menschen
an Harnblasenkrebs, weltweit 335.000 Menschen. Männer sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Die
Prävalenz innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraumes beträgt rund 1 Mio. Menschen (Parkin et al. 2001). Das mittlere
Erkrankungsalter liegt bei 69 Jahren für Männer und bei 73,4 Jahren für Frauen, wobei neuere Untersuchungen
gezeigt haben, dass Frauen, bedingt durch eine spätere Diagnosestellung, eine schlechtere Prognose aufweisen.
Im Jahre 2000 starben laut WHO weltweit 132.432 Personen an einem Harnblasenkarzinom.
Das Harnblasenkarzinom ist altersabhängig Vor dem 45. Lebensjahr werden Harnblasenkarzinome
nur selten beobachtet. So beträgt die Inzidenz für Männer im Alter von 45–50 Jahren 3 Fälle pro 100.000 und steigt
bei der Gruppe der über 80-Jährigen auf etwa 200 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner.
Aromatische Amine
Der erste experimentelle Beweis, dass aromatische Amine Blasentumoren verursachen, wurde von Hueper et al. bereits 1938 erbracht;
nach Fütterung von 2-Naphthylamin an Hunde entwickelten sich Transitionalzelltumoren der Harnblase.
Für den Menschen gesicherte Blasenkarzinogene aus der Gruppe der aromatischen Amine
(Vineis et al. 1997)
▬ 2-Naphthylamin
▬ Benzidin
▬ 4-Aminobiphenyl
▬ Dichlorbenzidin
▬ Orthodianisidin
▬ Phenacetin
▬ Chlornaphazin
▬ Cyclophosphamid
▬ 44-Methylen-2-chloranilin
▬ Auramin
▬ Magenta
▬ polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
Diese Blasenkarzinogene werden über Gastrointestinaltrakt, Lunge und Haut aufgenommen. So konnte z. B. eine 7-mal höhere Blasentumorinzidenz
nach Exposition von 2-Naphtylamin im Vergleich zu nichtexponierten Personen belegt werden (Schulte et al. 1986). Eine Untersuchung aus den 1950-er Jahren
an in der Gummiindustrie tätigen britischen Arbeitern erbrachte den Nachweis eines 200-fach erhöhten Harnblasenkarzinomrisikos.
Dies wurde ebenfalls auf den in diesem Industriezweig erfolgten Einsatz von 2-Naphthylamin zurückgeführt (Case et al. 1954). Von Interesse sind
Azofarbstoffe, die unter Bakterieneinwirkung so gespalten werden, dass Benzidin freigesetzt wird. Dies ist einer der Gründe für die hohe Inzidenz von Blasentumoren bei
den japanischen Kimonomalern, die ihre Pinsel ablecken und somit Azofarbstoffe enteral aufnehmen. Ein weiterer Risikofaktor ist Acrylnitrit in der Kunststoffindustrie
Insgesamt geht man heute davon aus, dass etwa 25% der Harnblasenkarzinome durch beruflich bedingten Kontakt zu karzinogen wirksamen Substanzen hervorgerufen
werden.
Versorgungsrechtliche Aspekte
Um betroffenen Patienten die Anerkennung einer berufsbedingten Karzinominduktion zu ermöglichen, ist eine diesbezügliche Anamnese notwendig sowie bei berechtigtem
Verdacht die Meldung an die Berufsgenossenschaft erforderlich.
Trotz strenger Kontrolle des Arbeitsplatzes muss man auch heute beruflich induzierte Blasentumoren erwarten.
Offensichtlich sind nicht alle Karzinogene bekannt, oder ihre Exposition ist nicht gänzlich unterbunden; ein Grund ist die Latenzzeit zwischen der Einwirkung der Noxe
und der Entwicklung eines Karzinoms, die 10–40 Jahre betragen kann. Besonders gefährdet sind Beschäftigte in
folgenden Industriebereichen bzw. Berufen:
▬ Farbindustrie,
▬ gummiverarbeitende Industrie (Kabel u. a.),
▬ Gasproduktion in der Kohleindustrie,
▬ Kammerjäger,
▬ Laboratoriumsangestellte,
▬ Aluminiumindustrie,
▬ Textilfärbung, Textilindustrie,
▬ Druckindustrie,
▬ Kimonomaler,
▬ Friseure,
▬ Strahlenindustrie,
▬ Kunststoffindustrie.
Medikamentöse Therapie
Drei Medikamente konnten eindeutig mit der Ausbildung von Blasenkarzinomen in Verbindung gebracht werden:
▬ Chlornaphazin, ein Polyzythämietherapeutikum, das
dem 2-Naphthylamin chemisch verwandt ist. Die Verwendung erfolgte bis 1963.
▬ Phenacetin führt (neben der Entwicklung einer interstitiellen Nephritis, Phenacetinnephropathie) zu einer
erhöhten Inzidenz der Urothelkarzinome, die sich hauptsächlich im oberen Harntrakt manifestiert. Bis zu
10% der Patienten mit einer Phenacetinnephropathie entwickeln ein Urothelkarzinom
vorwiegend im Nierenbecken und Harnleiter . Das aktive Karzinogen ist ein Stickstoffhydroxylmetabolit
des Phenacetins, welches chemisch die Struktur eines aromatischen Amins aufweist.
▬ Cyclophosphamid führt über eine symptomatische oder asymptomatische chemische Zystitis zu einem
erhöhten Blasentumorrisiko , sodass etwa 5% der mit Cyclophosphamid behandelten Patienten Harnblasenkarzinome
mit überwiegend schlechter Prognose entwickeln . Seit Einführung der Zystitisprophylaxe
durch Mesna ist möglicherweise das Blasentumorrisiko zu vernachlässigen. Bei Patienten, die über einen
längeren Zeitraum mit Cyclophosphamid therapiert wurden, sollte jedoch regelmäßig eine urinzytologische
Untersuchung vorgenommen werden.
Zigarettenkonsum
Viele retrospektive und prospektive Studien haben ein eindeutig erhöhtes Blasentumorrisiko für Zigarettenraucher
nachgewiesen. Das relative Risiko beträgt im Vergleich zu einem Nichtraucher zwischen 2 : 1 und 6 : 1 .
Bei Männern werden 50–60% der Harnblasentumoren auf das Zigarettenrauchen zurückgeführt, bei Frauen etwa 25% .
Die Dauer des Zigarettenkonsums, die Anzahl an Zigaretten pro Tag sowie ein frühes Einstiegsalter scheinen den größten Einfluss auf das individuelle Risiko
zu haben. Nach Beendigung des Zigarettenkonsums sinkt das Erkrankungsrisiko ab, erreicht aber auch nach einer Abstinenz von 25 Jahren nicht das der nichtrauchenden
Population. Für Pfeifen- und Zigarrenraucher konnte bisher ein erhöhtes Risiko nicht nachgewiesen werden. Die Analyse des Zigarettenrauches erbrachte den Nachweis
vor allem von 2-Naphthylamin.
Entscheidenden Einfluss auf die Karzinomentstehung haben polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
Es existieren keine gesicherten Erkenntnisse über die Wirkung fortgesetzten Zigarettenkonsums bei klinisch
bekanntem Blasentumor. Es ist anzunehmen, dass bei Patienten mit oberflächlichen Tumoren der Verzicht auf
weiteren Nikotinabusus einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen könnte.
Chronische Entzündung
Bei vielen Infekten spielt die Bildung von Nitrosaminen, deren Karzinogenität experimentell gut belegt ist, eine
wesentliche Rolle. Ob chronischer Infekt und Nitrosamine synonym zu verwenden sind, ist nicht geklärt. Jedenfalls
führen chronische Infekte unterschiedlicher Lokalisation zu einer Häufung von Plattenepithel-, Adeno- und Urothelkarzinomen.
Unspezifischer chronischer Harnwegsinfekt, Steinleiden, Fremdkörper.
Eine erhöhte Inzidenz des Blasenkarzinoms fand sich bei Patienten mit chronischen Harnwegsinfekten, besonders
dann, wenn diese mit Blasensteinen oder Dauerkatheterableitung vergesellschaftet waren .
Die Tumoren sind gewöhnlich Plattenepithelkarzinome. Bei paraplegischen Patienten mit einer
permanenten Katheterableitung fanden Olson u. De Vere Whita (1979) bei 5 von 100 Patienten und Kaufmann et al.
(1977) bei 6 von 62 Patienten diffuse Plattenepithelkarzinome der Blase, wobei 5 der 6 Patienten eine Katheterableitung
seit mehr als 10 Jahren hatten.
Bilharziose
Die Bilharziose ist in weiten Teilen Afrikas und in arabischen Ländern endemisch. In der Akutphase der Infektion
mit Schistosoma haematobium bilden sich in der Blase granulomatöse Polypen, die das Bild eines Tumors
nachahmen. Diese Veränderungen sind jedoch bei effektiver Therapie der Bilharziose reversibel.
Kommt es zu einer chronischen Infektion, entstehen über epitheliale Hyperplasie, Dysplasie und plattenepitheliale
Metaplasie Plattenepithelkarzinome (Morrison u. Cole 1982; Hicks et al. 1977). Ätiologisch wird eine
infektbedingte Nitrosaminbildung postuliert . In Ägypten sind schätzungsweise 16% aller
Blasenkarzinome durch Bilharziose induziert.
Balkannephropathie
Ein gehäuftes Auftreten von Urothelkarzinomen wurde aus bestimmten Regionen Jugoslawiens, Rumäniens, Bulgariens
und Griechenlands in Verbindung mit der Balkannephropathie berichtet . 90% aller Tumoren treten im oberen Harntrakt und 10% bilateral
auf. Tierexperimentell war das für die Entstehung der Balkannephropathie ursächliche Mykotoxin Ochratoxin
A von Pilzen der Aspergillus- und Penicillingattung nicht harnblasenkarzinogen , sodass die Ursache der Karzinomentstehung
nicht geklärt ist.
Chronisch interstitielle Nephritis
(Phenacetinniere):
Das Risiko der langjährigen Phenacetineinnahme wurde bereits mit den aromatischen Aminen besprochen (s. oben).
Offensichtlich führt die gleichzeitig induzierte interstitielle Nephritis zu einer Häufung karzinogener Metaboliten in
Nierenbecken und Harnleiter und erklärt daher das überproportional häufige Auftreten von Nierenbecken- und
Harnleiterkarzinomen in dieser Population.
Bestrahlung
Die Strahlentherapie allein oder in Kombination mit einer systemischen Chemotherapie führt zum gehäuften
Auftreten von Harnblasenkarzinomen. Das relative Risiko eines Zweitmalignoms beträgt 1,58 nach extensiver
Strahlentherapie.