Die aktuelle Situation
Das Unternehmen Sanofi Pasteur hat die Aussetzung der Produktion des BCG-Stamms Connaught im Juni 2012 angekündigt. Aufgrund von umfassenden Renovierungsarbeiten am Produktionsstandort ist nicht vor Ende 2013 mit einer Wiederaufnahme der Produktion zu rechnen. Da der Connaught-Stamm erhebliche Anteile am Weltmarkt hat, kann die Aussetzung der Produktion zu einem weltweiten Engpass von BCG (Bacillus-Calmette-Guérin) für die Behandlung von nicht-muskelinvasivem Blasenkrebs führen. Obwohl die Situation je nach Land unterschiedlich sein kann (abhängig vom jeweils im Markt erhältlichen BCG-Stamm), stellt sie eine potenzielle Gefährdung der Patienten dar und erfordert die Aufmerksamkeit der Urologen.
Jeder Urologe ist zu einer optimalen Behandlung seiner Patienten mit nicht-muskelinvasivem Blasenkrebs entsprechend den vorliegenden Befunden verpflichtet. Diese Stellungnahme fasst Informationen zusammen, die den Urologen bei Behandlungsentscheidungen – angesichts des Fehlens von bzw. einer suboptimalen Versorgung mit BCG Connaught – helfen können.
Aktuelle Rolle von BCG bei der Behandlung von nicht-muskelinvasiven Blasentumoren und Empfehlungen der EAU-Leitlinien Die intravesikal verabreichte BCG-Immuntherapie ist die wirksamste konservative Behandlung von Carcinoma in situ (CIS) und von Ta-T1-Tumoren mit einem mittleren und hohen Rezidiv- und Progressionsrisiko (EORTC risk calculator) nach vollständiger TURB (transurethrale Blasenresektion). Dabei reduziert sie die Rezidivrate signifikant und hat auch Einfluss auf die frühe Progredienz.
Entsprechend den EAU-Leitlinien zum nicht-muskelinvasiven Blasenkrebs sind intravesikale Instillationen von BCG angezeigt bei Patienten mit CIS und Ta-T1-Tumoren mit einem mittleren und hohen Rezidivrisiko und/oder Progressionsrisiko. Für eine optimale Wirksamkeit sollte auf den Induktionszyklus (je 1 Instillation pro Woche über 6 Wochen) eine mindestens 1-jährige Erhaltungstherapie folgen.
Ist die Wirksamkeit unterschiedlicher BCG-Stämme vergleichbar?
Unterschiedliche BCG-Stämme sind im Rahmen der Induktionstherapie nur in einer geringen Anzahl publizierter Studien verglichen worden. Die Veröffentlichung eines prospektiven, randomisierten Vergleichs einer
Induktionstherapie mit den BCG-Stämmen Connaught und TICE wird in Kürze erwartet. In der Literatur liegen keine Kopf-an-Kopf-Vergleiche zur klinischen Wirksamkeit unterschiedlicher BCG-Stämme im Rahmen einer Erhaltungstherapie vor.
Die Daten der publizierten Metaanalysen prospektiver, randomisierter Studien haben keine Hinweise auf eine unterschiedliche Wirksamkeit der BCG-Stämme (Pasteur, Frappier, Connaught, TICE, RIVM) ergeben.
Es liegen keine Daten dazu vor, ob ein Wechsel innerhalb des Behandlungsschemas von einem BCG-Stamm auf einen anderen Einfluss auf die antitumorale Wirkung haben kann.
Wie lange sollte eine BCG-Behandlung optimalerweise durchgeführt werden? Wann können BCGInstillationen abgesetzt werden, ohne die Wirksamkeit zu beeinträchtigen?
Für eine optimale Wirksamkeit sollte die BCG-Immuntherapie eine Erhaltungstherapie beinhalten. Es gibt viele unterschiedliche Erhaltungsschemata, die angewendet wurden. Dabei waren 27 Instillationen über 3 Jahre das Maximum. Allerdings ist die optimale Dauer einer Erhaltungstherapie nicht bekannt. Laut Metaanalysen sollte eine BCG-Behandlung mindestens ein Jahr lang durchgeführt werden, um einer intravesikalen Chemotherapie überlegen zu sein. Angesichts des aktuellen BCG-Engpasses können Instillationen sicher abgesetzt werden, wenn der Patient eine einjährige BCG-Behandlung abgeschlossen hat.
Die ausschließliche Anwendung einer Induktionstherapie (1 Instillation pro Woche über 6 Wochen, ohne Erhaltungstherapie) wird kontrovers diskutiert. Eine kürzlich vorgestellte Kohortenstudie zeigte viel versprechende Ergebnisse. Allerdings wurde in Metaanalysen festgestellt, dass die Durchführung einer BCG-Induktionstherapie ohne Erhaltungstherapie eine geringere Wirksamkeit hat als eine intravesikale Chemotherapie.
Können BCG-Instillationen durch eine andere Behandlung ersetzt werden?
Bei Patienten mit Ta- und T1-Tumouren mit mittlerem oder hohem Rezidivrisiko und einem mittleren Progressionsrisiko stellt die intravesikale Chemotherapie (mehrere Instillationen über bis zu 12 Monate) eine
alternative Behandlungsoption zur BCG-Immuntherapie dar. Dabei besteht ein höheres Rezidivrisiko, aber ein geringeres Risiko für Nebenwirkungen.
Bei Ta- und T1-Tumoren mit hohem Progressionsrisiko und bei CIS sehen die EAU-Leitlinien zwei Behandlungsoptionen vor: die BCG-Immuntherapie und die radikale Zystektomie. Die Zystektomie stellt eine aus
onkologischer Sicht sichere aber invasivere Behandlung dar, die – insbesondere mit jüngeren und körperlich fitten Patienten – besprochen werden sollte.
Einige viel versprechende Daten wurden zur Durchführung einer gerätebasierten Chemotherapie (Synergo oder EMDA) präsentiert. Diese könnte die BCG-Instillation bei Patienten mit Hochrisikotumoren ersetzen, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung für eine Zystektomie nicht geeignet sind. Allerdings liegen derzeit nur wenige Daten vor, und die Behandlung wird als experimentell angesehen.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen:
1. Die Wirksamkeit unterschiedlicher BCG-Stämme scheint vergleichbar zu sein
2. Es liegen keine Daten über die Folgen eines Wechsels von einem BCG-Stamm auf einen anderen vor. Dies
scheint jedoch eine angemessene Lösung während des ersten Jahres einer Erhaltungstherapie zu sein –
wenn der Connaught-Stamm nicht länger verfügbar ist, aber durch einen anderen BCG-Stamm ersetzt
werden kann.
3. In der aktuellen Situation eines BCG-Engpasses können Instillationen sicher abgesetzt werden, wenn der
Patient eine einjährige BCG-Behandlung abgeschlossen hat.
4. Bei Patienten mit Ta- und T1-Tumouren mit mittlerem oder hohem Rezidivrisiko und einem mittleren
Progressionsrisiko kann die adjuvante BCG-Behandlung durch eine intravesikale Chemotherapie ersetzt
werden, die als alternative Behandlungsoption zur Verfügung steht.
5. Bei jüngeren und körperlich fitten Patienten mit Ta-T1-Tumoren mit einem hohen Progressionsrisiko bzw. mit
CIS sollte stets eine sofortige radikale Zystektomie in Betracht gezogen werden. Diese Option ist
insbesondere in der aktuellen Situation des BCG-Engpasses hervorzuheben.
6. Bei Patienten mit Ta-T1-Tumoren mit einem hohen Progressionsrisiko bzw. mit CIS, die körperlich für eine
Zystektomie nicht geeignet sind bzw. die eine Zystektomie ablehnen, gibt es keine wissenschaftlich gestützte
Alternative zur BCG-Behandlung. Daher sollten alle Anstrengungen unternommen werden, einen erhältlichen
BCG-Stamm zu beschaffen. Als Alternative scheint die gerätebasierte Chemotherapie viel versprechende
Ergebnisse zu liefern; auch sie kann in Betracht gezogen werden. Eine passive intravesikale Chemotherapie
kann bei CIS zu einem gewissen Behandlungserfolg führen, die Rezidivrate bei Ta-T1-Tumoren beeinflussen
und somit einen gewissen Nutzen für den Patienten bieten. Allerdings muss bedacht werden, dass eine
Wirkung der passiven intravesikalen Chemotherapie auf die Tumorprogression noch nicht bestätigt werden
konnte.
7. Es muss betont werden, dass die wichtigste Option bei der Behandlung von nicht-muskelinvasivem
Blasenkrebs eine vollständige und präzise durchgeführte TURB ist, unabhängig von der Verfügbarkeit der
BCG-Immuntherapie.