Datum: 17.08.2015 17:44 Uhr
Statt mit Gift behandelt zu werden, soll sich der Körper von Krebserkrankten bald selbst
helfen können. Pharmafirmen wie Roche kommen bei der Suche nach Mitteln voran, die das
Immunsystem zur Abwehr von Tumoren stärken.
Statt auf Gift setzen Pharmakonzerne auf die körpereigene Abwehr und Selbstheilung
Düsseldorf, Frankfurt
Für viele Krebserkrankte ist es ein Hoffnungsschimmer, für die Pharmaindustrie ist es ein
umkämpfter Markt: Die Erforschung neuartiger Medikamente gegen Krebs macht große
Fortschritte. Es geht um eine vollkommen neue Art der Bekämpfung dieser Krankheit. Die so
genannte Immuntherapie zielt darauf ab, dass sich der Körper selbst gegen die Tumorzellen
erfolgreich wehrt– ein Weg, den viele Forscher für den besten Weg im Kampf gegen Krebs
halten. Denn das eigene Immunsystem ist grundsätzlich stark genug, gegen Tumore
anzugehen. Allerdings erkennt unser Körper bislang diese Gefahr nicht. Der Krebs ist listig.
Die Pharmabranche arbeitet weltweit an Medikamenten, die das Immunsystem gegen
Krebsaktivieren können und kommt dabei voran. Das lässt sich an der wachsenden Zahl positiver
Studien aus den Wirkstofftests ablesen.
Am Dienstag meldete der Schweizer ArzneiherstellerRoche einen Erfolg in der zweiten
Studienphase einer Immuntherapie zur Bekämpfung von Lungen - und Blasenkrebs.
Der Wirkstoff mit dem Namen Atezolizumab hat demzufolge in Tests an Menschen seine
Wirksamkeit bewiesen. Bei den behandelten Patienten, die an einem nicht - kleinzelligen
Bronchialkarzinom leiden, sei der Tumor geschrumpft, teilte Roche mit.
An diesem Beispiel lässt sich die Wirkung der Immuntherapie gut beschreiben. Krebszellen
sind listig. Sie gaukeln dem Körper vor, dass es sich bei ihnen um körpereigenes Gewebe
handelt, das nicht bekämpft werden muss. Das schaffen sie mit Hilfe von Rezeptoren. Der
neue Wirkstoff von Roche blockiert nun offensichtlich mit Erfolg ein Protein, das den Angriff
des Körpers auf den Tumor bislang verhindert.
Der Konzern will das Mittel nun schnellstmöglich auf den Markt bringen. Entscheidend dabei
ist die Zulassung in den USA durch die dortige Gesundheitsbehörde FDA. Sie hat der
Immuntherapie von Roche bereits den Status der so genannten Breakthrough Therapy
gegeben. Dies bekommen nur Wirkstoffe, von denen ein Durchbruch bei der Behandlung
einer Krankheit erwartet wird. Analysten gehen davon aus, dass Roche bereits in den
kommenden Monaten einen Zulassungsantrag für Atezolizumab stellen könnte. Ob und
wann das Mittel auf den Markt kommt, ist aber auch nach dem jetzt erzielten Fortschritt
noch offen.
Die gesamte Pharmaindustrie investiert Milliarden in die Erforschung solcher Mittel, die das
körpereigene Immunsystem auf Trab bringen. Allein Roche hat sieben Projekte mit 40
klinischen Programmen in der Pipeline. Neben den Schweizern haben die amerikanischen
Arzneihersteller Bristol - Myers Squibb (BMS) und Merck & Co sowie die britische Astra
Zeneca bei dem Ansatz die Nase vorn. Bereits zugelassen ist die Immuntherapie von BMS zur
Bekämpfung von Haut - und Lungenkrebs.
In Deutschland forscht unter anderem Merck aus Darmstadt gemeinsam mit
Pfizer an derImmuntherapie. Das Mittel mit dem Namen Avelumab steckt noch mitten in der Entwicklung
und könnte nach Erwartung des Konzerns frühestens 2017 auf den Markt kommen.
Mit der Immuntherapie geht der Kampf gegen Krebs völlig neue Wege. Bislang dominieren
zwei Arten der Behandlung. Bei der Chemotherapie wird der Körper gezielt mit einem Zellgift
behandelt, dass den Tumor am Wachstum hindern soll. Die Nebenwirkungen sind groß, da
diese Zytostatika auch das Wachstum der gesunden Zellen attackieren.
Neuartiger ist die Behandlung mit so genannten Antikörpern. Diese Eiweißstoffe sollen das
Wachstum der Krebszellen verhindern. Sie werden auf Basis gentechnischer Analysen
geschaffen und in einem komplexen Prozess biologisch hergestellt. Derzeit befinden sich
viele weitere Antikörper vor der Zulassung.
Experten des Forschungsinstituts IMS gehen davon aus, dass die nun reifende
Immuntherapie in den kommenden Jahren vor allem gemeinsam mit den heutigen
Präparaten eingesetzt wird – von derartigen Kombi-Produkten versprechen sich die
Fachleute das beste Ergebnis. Zudem seien noch weitere Analysen über die Nebenwirkungen
der Immuntherapie nötig. Denn wenn das Immunsystem gegen die Krebszellen aktiviert
wird, kann dies auch die gesunden Organe des Körpers treffen.
Quellen:
Pressemitteilung:
Selbstheilung statt Gift: Körper, wehr dich!
Vom 17.08.2015 17:44 Uhr
Autoren vom Handelsblatt:
Bert Fröndhoff und
Siegfried Hofmann