Was ist eigentlich eine Radiochemotherapie ? *

  • Radiotherapie des invasiven Blasenkarzinoms


    Urothelkarzinome zählen zu den prinzipiell radiosensiblen Tumoren, wobei die Radiotherapie ( RT ) eine kurative Therapiemodalität darstellt.
    Eine Bestrahlungsindikation besteht prinzipiell in allen Situationen, bei denen durch konservative Maßnahmen ( transurethrale Resektion, TUR ) eine längerfristige Tumorkontrolle mit Blasenerhalt nicht wahrscheinlich ist, oder spätestens dann, wenn von urologischer Seite die Indikation zur Zystektomie gestellt wird:
    • muskelinvasive Tumoren T2-T4,
    • T1-Karzinome mit Risikofaktoren ( T1 G3; nicht resezierbar und/ oder rezidivierend, Tumordurchmesser >5cm, assoziiertes Tis ).
    Bei nicht infiltrienden Tumoren ( Ta, Tis ) und gut differenzierten T1-Tumoren besteht keine primäre Indikation, eine Strahlentherapie ist in diesen Fällen erst bei invasiven Rezidiven angebracht.


    Primäre Radiotherapie
    Wichtigste Voraussetzung für die Prognose nach primärer Bestrahlung ist das Ausmaß der vorangehenden transurethralen Resektion.
    Patienten, bei denen eine makroskopisch komplette transurethrale Resektion (im Sinn eines maximalen Debulkings) gelang, haben nach primärer Radiotherapie signifikant höhere Tumorkontroll- und Überlebensraten als Patienten nach R2-Resektion.
    Das Ausmaß der residualen Tumormasse hat einen stärkeren prognostischen Einfluss als das T-Stadium.
    Nach alleiniger Radiotherapie wurden klinische Ergebnisse aus zahlreichen großen Serien publiziert: Die initialen klinisch kompletten Remissionsraten liegen durchwegs um 50 Prozent, wobei die Tumorkontrollwahrscheinlichkeit, außer von der Radikalität der transurethralen Resektion, abhängig ist von der Größe, dem Stadium, der ( Histo- )Morphologie, dem Vorliegen einer Ureterobstruktion und/oder einem begleitenden multilokulären Tis.


    Von allen Patienten, bei denen eine komplette Remission erreicht wurde, entwickelte sich bei 25 bis 30 Prozent ein späteres Lokalrezidiv.


    Nach alleiniger Radiotherapie ist somit eine dauerhafte lokale Tumorkontrolle in etwa 40 Prozent der Fälle zu erzielen.
    Bei muskelinvasiven Tumorrezidiven sowie bei allen primär nicht kontrollierbaren Tumoren ist in kurativer Intention, ( maximale Vernichtung der Tumorzellen bei optimaler Schonung ), eine Salvage-Zystektomie, ( Rettungs-Zystektomie ), anzustreben.


    Kombinierte Chemo-Radiotherapie
    Der Anteil der Patienten, die nach einer kompletten Remission ( CR ) lokal tumorfrei bleiben, ist unabhängig von der Art der Primärtherapie mit etwa 70 Prozent generell hoch.
    Somit sollten alle Therapien, die die initiale komplette Remissionsrate erhöhen, die permanente lokale Tumorkontrollrate und in weiterer Folge die Überlebensraten steigern.
    Nachdem bei Urothelkarzinomen auch die Chemotherapie über ein kuratives Potenzial verfügt, sind in den letzten zehn Jahren zahlreiche Therapieprotokolle zu einer kombinierten Chemo-Radiotherapie erstellt worden.


    Je nach Sequenz ist zwischen neoadjuvanten und/oder konkomitanten Chemo-Radiotherapie-Schemata zu unterscheiden. Der kombinierte Behandlungsansatz begründet sich durch folgende Argumente :


    • Multimodale Therapien haben ein synergistisches Potenzial. Das therapeutische Wirkprinzip einer konkomitanten ( zeitgleichen ) Chemotherapie liegt in der Sensibilisierung der Tumorzellen für die Radiatio.
    Die bestetablierte Substanz in der Chemo-Radiotherapie des Blasenkarzinoms ist nach wie vor das Cisplatin ( oder Carboplatin ). Der Wirkungsmechanismus besteht dabei nicht nur in einem eigenen, direkten zytotoxischen Effekt ( additive Wirkung ), Cisplatin verfügt über ein synergistisches Potenzial als Radiosensitizer ( unter anderem durch Reparaturhemmung von Doppelstrangbrüchen, die durch ionisierende Strahlung entstehen ).


    • Durch die neoadjuvante ( Induktions- )Chemotherapie, ( zum Beispiel zwei Zyklen M-VEC ), soll eine Größenreduktion des Primärtumors und damit eine Reduktion der Zahl klonogener Tumorzellen vor der definitiven Bestrahlung erreicht werden.


    • Aufgrund der prinzipiellen Chemosensitivität der Urothelkarzinome besteht außerdem die Chance zur Eradikation okkulter Mikrofernmetastasen, sodass höhere Heilungsraten möglich werden können.


    • Elementar für den Erfolg multimodaler Schemata scheint dabei die zügige Durchführung der Abfolge der Therapien zu sein.
    Eine protrahierte Chemotherapie kann trotz partieller klinischer Tumorremission zu einer verstärkten Proliferation überlebender Tumorzellen führen ( sogenannte akzelerierte Repopulation ) mit letztlich verminderter Effektivität bei der anschließenden Radiotherapie.
    In der Tabelle sind die klinischen Ergebnisse von einigen der wichtigsten Publikationen zur Chemo-Radiotherapie des Blasenkarzinoms dargestellt.
    Die berichteten kompletten Remissionsraten liegen zumeist bei rund 70 Prozent, wobei 83 bis 89 Prozent der initial erzielten kompletten Remissionen lokal rezidivfrei bleiben.


    Somit bleibt auch bei fortgeschrittenen Blasentumoren die Blasenerhaltung ein primäres Therapieziel, mit Organerhaltungsraten von über 80 Prozent bei den langzeitüberlebenden Patienten.


    In den genannten Serien wurden Therapieversager frühzeitig vor einer lokalen Progression einer sofortigen Salvage-Zystektomie zugeführt, um das neuerliche Risiko einer systemischen Aussaat zu minimieren.
    Bei Patienten, bei denen primär keine komplette Remission erzielt werden konnte, liegen die Fünf-Jahres-Überlebensraten trotz Zystektomie sehr niedrig.
    Als Begründung wird angenommen, dass größere Tumoren, die lokal schwieriger zu beherrschen sind, ein a priori höheres Metastasierungsrisiko aufweisen.
    Das initiale Ansprechen auf die Chemotherapie ist möglicherweise ein Indikator für das Potenzial, okkulte Metastasen kontrollieren zu können.
    Das Ausmaß des Ansprechens auf eine neoadjuvante Chemotherapie kann bei der Selektion für ein blasenerhaltendes Vorgehen hilfreich sein.
    Bislang konnte kein eindeutiger Vorteil einer höheren Effektivität der zusätzlichen Induktionschemotherapie gegenüber der ausschließlich konkomitant durchgeführten Chemo-Radiotherapie gezeigt werden.


    Zukünftige Entwicklung
    Schwerpunkte der klinischen Forschung liegen in der Entwicklung von „predictive assays“ zur frühzeitigen Identifikation von Therapieversagern nach multimodaler Therapie ( etwa 30 Prozent der T2- und T3-Tumore ).
    Der Einsatz neuer Chemotherapeutika ( zum Beispiel Paclitaxel und Gemcitabin ) ist nicht nur in der Entwicklung effektiverer Schemata zur frühzeitigen Eliminierung von Mikrofernmetastasen von Bedeutung, sondern auch hinsichtlich ihres möglichen Potenzials als Strahlensensibilisatoren.


    So ist zum Beispiel Gemcitabine eine in der Therapie fortgeschrittener Blasentumore schon länger etablierte Substanz.
    Umgekehrt ist bekannt, dass Gemcitabine in der Therapie von nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen und Pankreastumoren bereits in niedrigen ( nicht zytotoxischen ) Konzentrationen eine stark strahlensensibilisierende Wirkung aufweist.


    Dennoch geht die bisherige Erfahrung als Radiosensitizer beim Blasenkarzinom nicht über Phase-I-Daten hinaus, sodass hier ein Potenzial zur Weiterentwicklung der bisherigen Standardtherapie besteht.


    Innovative Strategien in der Radiotherapie haben primär lokale Dosiseskalationen und -intensifikationen zum Ziel:
    Unter anderem die Evaluierung akzeleriert/hyperfraktionierter Bestrahlungsschemata oder auch die Integration der intraoperativen Radiotherapie ( IORT ) als Boostmodalität.


    Technische Durchführung
    Die kurative Bestrahlung erfolgt mittels hochenergetischer Photonen an Linearbeschleunigern nach computerisierter CT- und/oder MR-gestützter Querschnittsplanung.
    Standard sind konformierte, dreidimensional geplante Mehrfeldertechniken zur optimalen räumlichen Anpassung der Bestrahlungsanordnung an das Zielvolumen.
    Dadurch wird eine maximale Dünndarm- und Rektumschonung erreicht.
    Mittels täglicher Einzeldosierung von 170 bis 200cGy können Gesamtdosen von 60 bis 65Gy in sechs bis acht Wochen je nach multimodalem Konzept ohne signifikante Morbidität appliziert werden.


    Toxizität der Radiotherapie
    Akutreaktionen:
    Passagere G1/2-Zystitiden, ( nahezu obligat ),
    schwere Radiozystitiden, ( G3–4 ), in weniger als drei Prozent ( zumindest wöchentliche Harnkontrollen sind während der Radiotherapie nötig ),
    leichte Diarrhoen und Proktitis ( G1/2 ) in 25 bis 30 Prozent und feuchte Epidermolysen in drei bis fünf Prozent.
    Diese Reaktionen sind symptomatisch gut kompensierbar und klingen im Allgemeinen ein bis drei Wochen nach Therapieende vollständig ab.


    Spätreaktionen:
    Chronische Zystitis in weniger als fünf Prozent ( bei Anwendung moderner Bestrahlungstechniken ist selbst nach Chemo-Radiatio die Entwicklung einer „radiogenen Schrumpfblase“ ein rares Ereignis ), chronische Proktitis in zwei bis fünf Prozent ( Therapie: lokale Cortisonapplikation ) sowie Dünndarm- und Rektumstenosen in weniger als drei Prozent.



    Zusammenfassung
    Die primäre Chemo-Radiotherapie ist eine hocheffiziente Strategie in der Therapie des muskelinvasiven Blasenkarzinoms.


    Die Überlebensraten sind mit den Resultaten nach primärer Zystektomie vergleichbar.


    Bei 70 bis 80 Prozent der Überlebenden gelingt die Organerhaltung bei guter Blasenfunktion.
    Prognostisch wichtigster Faktor ist die Radikalität der vorangehenden transurethralen Resektion
    ( Dies bedeutet ganz einfach : Je kompletter das Karzinom vor der RCT aus der Blase etc. entfernt wurde, desto höher die Erfolgschancen )
    ( Allerdings sollten die Ausschliessungsgründe unbedingt beachtet werden )