Ich war gerade 55 Jahre alt geworden (Bericht aus dem Jahr 2016 und Lebensgeschichte)

  • Habe mir lange überlegt ob ich im Internet über meine Erkrankung schreiben soll, aber jetzt, nach zwei Jahren und ich aus dem "Gröbsten raus" bin, und viele liebe und nette Menschen mir geholfen haben, habe ich mich entschlossen mich euch vorzustellen.


    Wie fing alles an?


    Mai 2016. Ich war gerade 55 Jahre alt geworden und wie bei vielen von uns, trat ein typisches Symptom für dieses Krankheit in mein Leben, ich hatte plötzlich Blut im Urin. Keine Schmerzen und nichts, einfach nur "Pippi war rot".


    Ging also zum Hausarzt, der hat mich untersucht, vorsichtshalber Antibiotika verschrieben und ein Labor angeordnet. Labor war unauffällig,.


    Überweisung zum Urologen, nächster freier Termin war erst in 14 Tagen, aber da kein Blut mehr im Urin aufgetreten ist und ich grundsätzlich im Leben nicht vom schlimmsten ausgehe war ich erst einmal beruhigt. Eine Woche später der Schock, wollte nachmittags in einem Fast-Food Restaurant urinieren gehen, und plötzlich habe ich fast reines Blut uriniert!!!! Das Urinal sah aus als wenn ich einen Schimpansen skalpiert hätte.


    Stand so unter Schock, dass ich weiß wie die Wand wurde und ein Rettungswagen wurde geholt. Ab ins Krankenhaus, Notaufnahme.


    Dort wurde ich erstmal aufgenommen, katheterisiert und weitere Untersuchungen fanden statt.


    Ultraschall ergab das ich einen ca. 2cm großen Tumor in der Blasenwand hatte. Dieser wurde per Zystoskopie entfernt und ich bekam folgende histologische Diagnose: mindestend pT2a, G2. Das Blut kam deshalb zu Stande weil zusätzlich ein Blasenstein vorhanden war.



    Chefarzt zeigte mir folgende Optionen auf: Eine Neoblase oder Pouch oder (alternativ) die weniger radikale Methode der lokalen Chemo und ggfs. immer wieder ein Nachschneiden mittels Zystoskopie.


    Ich entschied mich für die erste Option, und wollte am liebsten eine Neoblase, das würde aber nur vorgenommen wenn der Harnleiter krebsfrei ist.


    Die radikale Zystektomie fand dann drei Wochen später statt, auch wenn es keiner glauben mag und es kaum auszusprechen ist, meinem Privatpatientenstatus sei Dank.


    Bekam dann eine Neoblase, das Ergebnis der Histologie der großen OP ergab: pT2a sowieein pTis sowie Prostatakarzinom, ebenfalls pT2a, Lymphknoten waren krebsfrei.


    Es sollte dann ein zweiwöchiger Krankenhausaufenthalt werden, aus dem aber fünf Wochen wurden, weil ich andauern hohes Fieber bekam und einmal sogar deshalb wieder auf Intensiv musste. Hatte andauernd heftige Harnwegsinfektionen bekommen.


    Im Anschluss an das Krankenhaus ging es unmittelbar nach Bad Wildungen zur AHB. Das war unheimlich wichtig, habe nette Menschen kennengelernt und mit ein paar Leidensgenossen treffe ich mich noch heute, zwei Jahre später.


    Das was bei mir nicht ganz erwartungsgemäß läuft ist, dass ich zweimal in den zwei Jahren nach der OP wieder Blut im Urin hatte, aber dieses Symptom jedesmal aufgrund einer Harnwegsinfektion aufgetreten ist. Nehme auf ärztlichen Rat Urotablinen, ansonsten läuft aber alles erwartungsgemäß. Alle vier Stagings (jedes halbe Jahr) zeigten krebsfrei an, und das freut mich soooooo sehr.



    Dennoch, die OP war eine Zäsur in meinem Leben.


    Hatte bis zu diesem Zeitpunkt viel Zeit für die Arbeit und den beruflichen Erfolg ver(sch)wendet und mir wurde plötzlich klar, das sich in meinem Leben etwas ändern musste. Mir wurde von ärztlicher Seite ungeschönt gesagt, dass die statistische Überlebenswahrscheinlichkeit bei meiner Diagnose für die kommenden fünf Jahre bei 50-60% liegt.


    Also ich habe ich entschieden, dass sich etwas ändern musste. Meine Frau und ich haben uns entschieden, mehr Zeit gemeinsam zu verbringen und umzuziehen. An einen Ort wo wir schon immer hin wollten, aber es immer auf meinen Ruhestand geschoben haben. So, und der sollte jetzt kommen.


    Habe mit der Unternehmensleitung im Sommer 2017 gesprochen, und wir haben eine Aufhebungsvereinbarung bezüglich meines Dienstverhältnisses getroffen. Anfang dieses Jahres habe ich zudem die gesetzliche Erwerbsminderungsrente beantragt, die auch Grundlage für meine Betriensrentenansprüche ist.


    Gestern bekam ich meinen Rentenbescheid für die volle Erwerbsminderungsrente. Die volle Erwerbsminderungsrente bekam ich übrigens nicht (nur) wegen meiner Krebserkrankung, sondern auch wegen einer Erkrankung wegen der ich seit 2004 schon mit einem GdB von 60 schwerbehindert war. Jetzt bin ich mit einem GdB von 100 schwerbehindert.


    Ich bin alles in allem so dankbar. Das ich die Kraft hatte, aus einfachen Verhältnissen stammend, mit 16 Jahren eine Ausbildung zu beginnen, die mir wirklich Spass gemacht hatte, eine Meisterausbildung und ein Studium neben der Arbeit im Abendstudium zu absolvieren, für die vielen erfüllenden Jahre die ich arbeiten konnte aber am meisten bedanke ich mich für den Blasenstein, der für das Blut in meinem Urin gesorgt hatte, und mir letztendlich mein Leben gerettet hat.


    Ich freue mich auf die kommende Zeit, auf den Umzug, neue Ziele und Pläne, und die Zeit die meine Frau und ich gemeinsam genießen dürfen.


    Ich Grüße euch ganz herzlich

    Jürgen

    Liebe Grüße

    Jürgen


    2016 Zystektomie/Neoblase, 2017 gekündigt, 2018 neues Leben am Meer begonnen. :)

  • Was du beschreibst, das kann ich (jetzt) gut verstehen. Aber diese Erkenntnis kam mir erst mit 45 Jahren. :( Jetzt gebe ich mal einen Abriss meiner psychologischen Entwicklung, zu der ich nach drei Jahren Psychoanalyse gekommen bin. Ich hoffe die Hochzeit deiner Tochter war schön und du hast Zeit. ;)


    Ich war bis ich Mitte 40 wurde beruflich richtig unangenehm, habe alles dafür getan um weiterzukommen, und habe viele auf dem Weg zum Erfolg weggebissen. Das war für mich bis zu diesem Zeitpunkt normal und mir war auch bewußt das ich kein netter Mensch war. War aber egal, Hauptsache der berufliche Erfolg war da, das nächste Projekt erfolgreich abgeschlossen, die Ziele wurden erfüllt und die Prämie gezahlt, alles andere war egal. Ich habe den Tod meiner Eltern und zwei Fehlgeburten meiner Frau verdrängt und habe versucht alles wieder gut zu machen, in dem ich "uns" damals ein luxuriöses Leben ermöglicht habe. Meine *damalige* Frau mußte nicht arbeiten, wir hatten eine Putzfrau obwohl wir keine Kinder hatten. Für meine Frau hätte ich alles getan.


    In Köln würde man sagen "hör auf zu strunzen", aber ich schreibe jetzt mal wie bekloppt ich in meiner Jugend war. Ich war einer der ersten Jahrgänge die 1976 auf der Hauptschule die mittlere Reife machen konnten. Ich habe mit 17 angefangen eine Ausbildung als Industriekaufmann zu machen, das ging damals noch mit mittlerer Reife, heute braucht man Abi. Auf der Schule war alles einfach, als ich in der Ausbildung war ich plötzlich der jüngste Azubi und wurde belächelt, da kommt der Pimpf von der Hauptschule. Ich war so ehrgeizig, ich habe nur gepaukt, wenn gleichaltrige rausgegangen sind, habe ich mir vieles noch beigebracht, weil mir doch erhebliches Wissen fehlte im Vergleich zu den höheren Handelsschülern und Abiturienten die bei mir im Ausbildungsjahr waren. Ich habe die Ausbildung nach drei Jahren mit sehr gut beendet. Dann sollte ich zum Wehrdienst, damals noch 15 Monate. Da ich schon immer aufs Geld geschaut habe und nur von zu Hause weg wollte, habe ich als ich den Einberufungsbescheid bekommen habe, in Köln und Nörvenich die Luftwaffenkasernen abgeklappert und mich um eine Z2 Planstelle beworben. Köln Wahn hat geklappt. Als Zeitsoldat bekam ich fast 4 mal soviel Sold wie als Wehrpflichtiger, konnte endlich ausziehen da mir der Bund natürlich die Unterkunft in der jeweiligen Kaserne gestellt hat und hier sogar Geld ansparen. Habe in den Bund in den zwei Jahren fast jeden Lehrgang mitgemacht den man mitmachen konnte und machte dort innerhalb der zwei Jahre auch noch sowas wie Karriere. War nach den zwei Jahren Stabsunteroffizier und zwei Wehrübungen später wurde ich sogar zum Feldwebel befördert.


    Nach der Bundeswehr habe ich bei dem Arbeitgeber wieder gearbeitet, wo ich auch meine Ausbildung gemacht hatte, Das damalige Wehrpflichtgesetz hat bis zu zwei Jahren den Arbeitsplatz gesichert. Da man mich noch sehr gut in Erinnerung hatte und ich als der "Hauptschüler mit der Eins" bekannt und berüchtigt war, konnte ich mir nach meiner Wehrdienstzeit meinen Arbeitsplatz aussuchen. Ich wählte die Personalabteilung und als ich dort die alten Sachbearbeiter sah, die soviel redundante Arbeiten machten und für die Produktivität ein Fremdwort war, habe ich mich dort nicht richtig wohl gefühlt. Also machte ich eine Weiterbildung zum Industriefachwirt, einer Art Meisterprüfung für Industriekaufleute. Diese Weiterbildung war notwenig um Teamleiter in der Personalabteilung zu werden. Nach zwei Jahren Abendschule hatte ich die im Sack und ich wurde mit 26 Jahren der jüngste Teamleiter in der Personalabteilung. Alle anderen waren > 40 Jahre, wie gesagt, wir sprechen von den 80er Jahren.


    Die alten Sachbearbeiter wurden in dieser Zeit nach und nach berentet und ich habe alles dafür getan um qualifizierte, nicht so lahmarschige, dynamische Mitarbeiter zu bekommen. Aber hat mich das erfüllt? Nein. Ich sah mich dort nicht, es war einfach zu öde. Da ich schon immer eine Affinität zu Zahlen. Mathematik und vor allem Schach hatte, habe ich mich in die Datenverarbeitung eingearbeitet. Habe dann noch Informatik an der Fernuni studiert. Als ich fertig war, war ich 30, es war 1991, aber alles ging weiter wie bisher. Es war so öde. In der Zeit habe ich meine erste Frau kennengelernt, das war die erste Zeit, wo ich Zeit für mich hatte und nicht für irgendetwas lernen musste. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich zwar mal kurzfristig eine Freundin, aber nie eine längere Beziehung. Welche Frau will schon mit einem Idiot zusammen sein, der nur am pauken ist?


    1992 kam dann der Ruf zur Hauptverwaltung. Ich war frischgebackener Informatiker, jung, dynamisch und wurde in eine Systemstelle versetzt. Wir waren sechs jüngere Leute, wir bekamen vom Vorstand Geld in die Hand und haben im Prinzip den kompletten Konzern von einer Großrechnerlandschaft in eine vernetzte PC Landschaft umgewandelt. Ich war zuständig für HR (Personalwesen) weil ich das ja von der Pieke auf gelernt hatte und mir kein Personaler irgendetwas erzählen konnte. Es waren so viele Projekte, soviel Zeit die drauf ging. Ich habe wirklich gut verdient, der Wechsel zur Systemstelle war mit einem AT-Einzelvertrag verbunden. Soll heißen, man hat sein Gehalt und auch seine Altersversorgung unmittelbar mit der Geschäftsleitung verhandelt. Geld war super, aber: Kein Betriebsrat ist für einen zuständig und 40 Stunden Woche? ^^ :D ^^ Es waren im Schnitt immer 50-70 Stunden, aber das war sowieso egal, man wird nur für das Arbeitsergebnis bezahlt, nicht für die Zeit.


    Als dann die Zusammenlegung mit einem anderen Stromkonzern kam und wieder mal Synergien gehoben werden sollten, wurde mein Arbeitsplatz nach Dortmund verlagert. Köln-Dortmund sind ca. 105km, man braucht ca. 3 Stunden zusätzlich zur Arbeitszeit. Homeoffice? Das gab es 2005 nicht, das Wort gab es noch nicht mal. Es kam wie es kommen mußte Zusammenbruch, heute würde man sagen Burnout. Ich hatte wirklich einen Burnout, wenn ich höre was manche heute schon als Burnout bezeichnen, aber lassen wir das. Ich wurde körperlich durchgecheckt, nichts organisches wurde gefunden und mir wurde empfohlen mich in Psychotherapie zu begeben. Habe einen sehr guten Therapeuten nach ein paar Anläufen gefunden und habe den erst einmal für 25 Stunden bewilligt bekommen. Ich hatte aber einen so an der Waffel ;), dass ich insgesamt 120 Stunden lang in Therapie musste und das ganz bis Ende 2008 gedauert hat. Ergebnis: Der Mitarbeiter ist verbrannt, es wird darum gebeten ihn auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen.

    Liebe Grüße

    Jürgen


    2016 Zystektomie/Neoblase, 2017 gekündigt, 2018 neues Leben am Meer begonnen. :)

  • Gottseidank war damals noch ein Vorstand im Amt der mich kannte. Er hat dafür gesorgt, dass ich auf einen ruhigen Arbeitsplatz in Heimatnähe versetzt wurde. Und so wurde ich Unterabteilungsleiter in der Altersversorgung in Köln. Ein Job mit geregelter 9to5 Arbeitszeit und intellektuell gesehen brauchte man dafür nicht in der Lage sein Atome spalten zu können. :D Meine Grundbezüge und Altersversorgung durfte ich behalten, ich bekam nur keine Prämien mehr. Wie denn auch.


    Den Job habe ich dann 7 Jahre gemacht, er hat mir Spaß gemacht, meine Mädels (in meiner Abteilung waren bis auf eine Person nur junge Mädels :)) haben die eigentliche Arbeit gemacht ich habe nur koordiniert und war für Problemfälle zuständig. Das hätte ich noch locker bis zur Rente gemacht. Meine Mädels liebten den "neuen" Jürgen, ich habe sie jeden Tag versammelt, wir sind oft in die Cafeteria gegangen und manche anderen Abteilungsleiter haben die ein- oder andere blöde Bemerkung gemacht. Aber ich hatte Narrenfreiheit. :thumbup:



    Mit dem neuen Jürgen, der mittlerweile so war wie du PetAir wohl schon immer warst, konnte meine damalige Frau nichts mehr anfangen. Der war plötzlich immer da, wollte mitreden und sie wurde komisch. Ein Nasenpiercing und ein Straßsteinchen am Zahn hätten mich hellhörig werden lassen müssen, aber nix da. So kam es wie es kommen mußte, sie hatte wohl einen anderen. Shit Happens.


    Aber das war gar kein Shit. Das war gut. Das weiß man nur zu dem Zeitpunkt nicht, man leidet (erstmal). Als sie es mir gebeichtet hatte habe ich die Konsequenz gezogen und bin ausgezogen. Habe dann erstmal ganz alleine gelebt und das hat mir gut getan. Dann ich meine neue Frau kennengelernt habe. Und ja, ich gebe es zu, über das Internet, die Plattform hieß "Neu.de", wie treffend.


    Wir waren gerade ein paar Jahre verheiratet dann kam die Diagnose Blasenkrebs. Und ich war sowas von daneben, ich wollte nur eins Leben. In dem Krankenhaus wo ich operiert wurde bin ich kurz vor der Zystektomie in die Krankenhauskapelle gegangen und habe gebetet. Ich habe mit dem lieben Gott einen Pakt geschlossen. Gib mir unbeschwerte zehn Jahre, lass mich glücklich sein und wenn du mich holen kommst, dann hole mich schnell. Ich will leben, nicht lernen, arbeiten, etwas beweisen müssen, nur leben und ganz von vorne anfangen. Ich glaube er hat mich erhört. :) Und wenn er mich in zwei Jahren holen kommt, vielleicht hat er gerade viel zu tun, und wartet noch ein paar Monate oder Jahre. Wenn nicht auch egal, er hat mich wenigstens erhört.


    Jetzt siehst du mit was für einem Bekloppten du/ihr es hier zu tun habt.

    Liebe Grüße

    Jürgen


    2016 Zystektomie/Neoblase, 2017 gekündigt, 2018 neues Leben am Meer begonnen. :)

  • bar65

    Hat den Titel des Themas von „Ich war gerade 55 Jahre alt geworden (Bersicht aus dem Jahr 2016)“ zu „Ich war gerade 55 Jahre alt geworden (Bericht aus dem Jahr 2016 und Lebensgeschichte)“ geändert.
  • Hallo Jürgen Jojo1961,


    mutig so einen ehrlichen und selbstkritischen Rückblick in die Fast-Öffentlichkeit zu stellen. Mein Respekt.

    Außerdem mein Glückwunsch, dass Du zwar spät, aber nicht zu spät zu Deiner jetzigen Einstellung gekommen bist.


    Ich bin auch Informatiker und war sehr zielstrebig: Abitur mit 18, 15 Monate Wehrdienst, 4 1/2 Jahre Studium und jetzt

    nach über 40 Berufsjahren in zwei Firmen in der Passivphase der Altersteilzeit.


    Mein Glück war, dass ich sehr schnell erkannt habe, Personalverantwortung und Projektleitung sind nicht mein Ding.

    Ich bin sehr technik-affin und hatte immer viel Spaß, die Rechner-Infrastruktur zu betreuen und zu entwickeln. Insofern

    kann ich behaupten, mein Hobby wurde mein Beruf und ich war fast immer zufrieden. Die Abteilungsleitung in meiner

    ersten Firma hat mir den Spaß mittelfristig immer mehr verdorben, was schließlich zum Wechsel des Arbeitgebers

    führte. Ich wusste nicht einmal genau, wie mein neues Arbeitsumfeld aussehen würde. Ich wollte nur weg und habe

    alles auf eine Karte gesetzt. In meiner neuen Firma (mit mehr als 40.000 Angestellten weltweit) hatte ich einen Volltreffer

    gelandet. Nahezu meine Wunsch-Arbeit und 100% Eigenverantwortung.


    Seitdem ich nicht mehr arbeiten muss, habe ich mich auf meine ehrenamtlichen Jobs konzentriert und bin dabei, diesen

    Bereich sogar noch etwas auszubauen. Ich denke, meine Frau ist auch nicht unglücklich, dass ich nicht 24 Stunden an

    ihrem Rockzipfel hänge. Häufigere Urlaubsreisen und Ausflüge sind geplant, wir fliegen morgen zum ersten Mal nach

    Mallorca, nachdem wir schon drei Mal auf Teneriffa waren. Ich hoffe, damit auch meiner Frau gerecht zu werden, die

    zuhause ein enormes Arbeitspensum leistet.


    Alles in allem sehe ich Deine beschriebene Entwicklung - aus meiner Perspektive - sehr positiv und wünsche Dir,

    dass der liebe Gott nachsichtig ist und Dir noch viele gute Jahre schenkt.


    LG Erwin

  • Guten Morgen Jojo1961 vs. Jürgen,


    was ich anregen wollte hat unsere liebe Moderatorin bar65 schon gemacht - den Post und das Thema an die richtige Stelle zu bringen.


    Ja, ich habe gerade Zeit bzw. habe mir Zeit genommen deinen Post zu lesen und nun auch zu beantworten. An meinem Schreibtisch zu sitzen, aus dem Fenster zu schauen um dann ein paar Zeilen auf`s Papier vs. in ein Computerprogramm zu tippen entspannt mich.


    Die Hochzeit meiner Tochter ist morgen und anders als es meine Eltern damals getan haben - ich bzw. wir mischen uns weder in die Planung, die Vorbereitung noch anderweitig ein. Natürlich sprechen wir mit dem jungen Paar da wir eng verbunden sind und helfen wenn wir gebraucht werden, aber sonst werden die beiden das schon alles hinbekommen und ich bin da sehr zuversichtlich.


    it dem neuen Jürgen, der mittlerweile so war wie du PetAir wohl schon immer warst, konnte meine damalige Frau nichts mehr anfangen.

    Na, ich war nicht immer so. Auch ich habe miche erst freischwimmen müssen um meinen Weg zu gehen. Das ist ist wohl schon einige Jahre früher wie bei dir geschehen.

    Unsere Wege sind da sehr ähnlich: Hauptschule und mit Ende 15 Jahren dann schon als Lehrling zum Versicherungskaufmann bei einer großen Gesellschaft eingestellt worden. Ähnlich wie es heute noch ist gilt in dieser Branche nach wie vor ein gewisser Dresscode der wohl die Seriösität unterstreichen soll. Als ich nach einem lustigen Band-Auftritts-Wochenende Montag morgen in Jeans-Latzhose und blau-gelb geringeltem T-Shirt im Büro eingetroffen bin stand ich Minuten später schon beim Geschäftsführer auf der Matte ;)


    Auch bei mir galt noch die Wehrpflicht mit 15 Monaten und ich wurde bis zur Einberufung nach meinem Abschluß übernommen und fand mich bis dahin in der Abteilung "Vertriebsunterstützung" wieder. In dieser Zeit habe ich meine spätere und noch heutige Frau kennengelernt. Mit knapp 19 Jahren ging es dann zunächst als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr. Man machte mir ein Angebot als Zeitsoldat zu dienen, hat mir die Auskasernierung und eine Dienstwohnung in Aussicht gestellt. Mein Dienstposten war in einer Bunkeranlage welche noch von den Nazionalsozialisten für die Herstellung einer Vergeltungswaffe gebaut und nie zerstört wirde.
    Mit Ausnahme der militärischen und fachlichen Lehrgänge hatte ich einen regelmäßigen Job in der Personal- und später in der Materialverwaltung.

    Aus 15 Monaten wurden 8 Jahre zuletzt als Oberfeldwebel die ich mit meiner Frau in einer schönen bayrischen Stadt eingermaßen weit weg von meinen Eltern verbracht habe.


    Dann kam 1989 die sog. Wende und ich hätte mit der Chance auf eine Fachoffiziers-Laubahn Berufssoldat werden können. Da dies mit einem Umzug nach Frankfurt/Oder verbunden gewesen wäre habe ich dankend abgelehnt und den Dienst quittiert. Da war es das erste Mal das ich mich gegen einen beruflichen Aufstieg mit allen positiven und auch ggf. negativen Folgen entschieden habe.


    Auch ich habe damals die Zeichen der Zeit erkannt und habe dann im Rahmen des Berufsförderungsdienstes der Bundeswehr Weiterbildungen zunächst für Novell-Netzwerke und dann später bei Microsoft zum MCSE gemacht. Die Kombination kaufmännische Ausbildung, IT-Kenntnisse und recht gute Bewertungen bei der Bundeswerhr einschl. Sicherheitsüberprüfung II hat mir dann auf meinem weiteren beruflichen Lebensweg ziemlich geholfen.

    Über mehrere Arbeitgeber und auch eine Zeit als sog. IT-Freelancer für Rollout-Projekte bin ich dann noch einmal 6 Jahre als Tarifangestellter bei eine Bundesbehörde (BAMF) in Kombination als IT- und Verwaltungssachbearbeiter im mittleren Dienst untergekommen.


    In der Rückschau habe ich bis zur Diagnose 43 Jahre in drei Berufen und bei rund zehn recht unterschiedlichen Arbeitgebern meinen/unseren Familien-Lebensunterhalt verdient. Einige Arbeitsverträge habe ich selbst gekündigt, einmal bin ich in einen Sozialplan gefallen und habe eine Abfindung bekommen und eben auch einmal drei Jahre Selbstständigkeit als IT-Freelancer.

    Ähnlich wie Du hatte ich mit Mitte 40 auch so meinen Durchhänger, war ein paar Wochen arbeitsunfähig und habe auch psychologische Unterstützung in Anspruch genommen.

    Just in dieser Zeit hatte ich enen Präventionskurs bei der Volkshochschule zum Thema "Wege der Enspannung" gemacht und bin bei der Meditation hängengeblieben. Nach dem Kurs wollte ich da weitermachen und bin dannn eher zufällig auf den ZEN-Buddhismus gestossen, habe mich damit beschäftigt und bin noch heute damit verbunden.


    Die grundsätzliche Haltung zum Leben im ZEN hilft mir bis heute und ich bin über die meiste Zeit auch ziemlich zufrieden mit meinem Leben. Gerade das loslassen und die Dinge laufen lassen ist mir eine große Hilfe im täglichen Leben, auch mit dem BK und den bekannten Folgen.

    So, jetzt gibt es dann Mittagessen und ab 14 Uhr wird das Partyzelt im Garten meiner Tochter aufgebaut. Das machen deren Freunde aber ein wenig muss ich dann doch Aufsicht führen (wer kennt noch Waldorf und Stadler aus der Muppets-Show - hihi).


    IMG-20240613-WA0002.jpg



    Hier mal ein Foto meiner Tochter als wir gestern in ihrem Stadl etwas Licht aus dem Fundus meiner letzten Band vor dem BK aufgebaut haben.


    Grüße undf ein schönes Wochende.

    PetAir

  • Danke für deinen Beitrag Erwin. :thumbup:


    Ich bin das erste mal seit dem ich meine Frau kenne jetzt längere Zeit alleine. Sie ist für knapp zwei Wochen an den Bodensee gefahren und macht dort eine Weiterbildung für ihren Beruf. Normalerweise wäre ich mitgefahren, aber momentan steht es um meine nächtliche Kontinenz nicht so gut weil ich einen Leistenbruch habe. Von daher habe ich entschieden zu Hause zu bleiben damit sie nachts durchschlafen kann. Außerdem habe ich sowieso ein Bodensee-Trauma. Ich habe sie schon vor zwei Jahren dorthin begleitet, damals hatten wir aber diesen super heißen Sommer dort unten mit wochenlangen Temperaturen über 35 Grad. Weil ich nicht so viel trinken konnte wie ich ausgeschwitzt habe bekam ich - wieder mal - einen Harnwegsinfekt mit Blut im Urin und Fieber und mußte nach Überlingen in die Notaufnahme. Bettruhe (bei über 30 Grad in der Ferienwohnung) und Antibiotika, nein Danke, da bleib ich lieber hier.


    Ja du hast Recht, besser spät als nie. Ich war schon ein komisches Kerlchen, wenn es nicht so traurig gewesen wäre. Meine Eltern haben mich für damalige Verhältnisse sehr spät bekommen. Mein Vater war einerseits ein lieber Kerl, aber er war auch sehr engstirnig und hat in einer kleinen Welt gelebt. Kein Wunder, er hat im zweiten Weltkrieg noch gekämpft, war in russischer Gefangenschaft und hat mir immer nur erzählt wie gut ich es eigentlich habe. Er war selber bis zur Halskrause traumatisiert, aber das waren ja wohl alle Männer die aus dem Krieg kamen. Als die Versetzung von der Grund in die Haupt-, Realschule oder das Gymnasium bei mir anstand hat mein Vater entschieden das ich auf die Hauptschule soll. Als ich dann Teenager wurde wollte ich nach der Hauptschule aufs Gymnasium und evtl. studieren. Studieren? Das kannst du machen wenn du aus dem Haus bist, lerne einen Beruf und was du später machst kannst du selber entscheiden. Solange du hier wohnst gehst du arbeiten. Ich muss klarstellen: Arbeiten war für meinen Vater "körperliche Arbeit". Alles andere zählte für ihn nicht. Ich weiß noch als ich helfen sollte die Einfahrt zu pflastern und ich gejammert weil die Arbeit so schwer war. Was soll nur aus dir werden? Dich kann man nur ins Büro stecken, zum arbeiten bist du zu weich.


    Schon klar, oder? Das man mit diesen Grundwerten sich nicht so entfalten kann wie es eigentlich richtig wäre. So musste ich den schweren Weg gehen, aber der hat halt seinen Preis.


    Mag sein das es mutig ist meine Lebensgeschichte hier rein zu schreiben, aber der Neuanfang nach meiner Kündigung beinhaltete auch, dass ich den Namen meiner Frau angenommen habe. Keiner wird mich mit dem neuen Nachnamen bei meinem alten Arbeitgeber noch in Verbindung bringen können. Ich hab wohl auch irgendetwas Agentenhaftiges in mir. ^^

    Liebe Grüße

    Jürgen


    2016 Zystektomie/Neoblase, 2017 gekündigt, 2018 neues Leben am Meer begonnen. :)

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