Lieber Andreas
Danke! Deine eindringlich aufrüttelnden Worte, Dein persönliches Statement betreffend Lebensqualität und Zeitmanagement, Deine klar verständlichen medizinischen Begründungen, ich nehme sie sehr ernst, sie liessen mich meine Wertvorstellungen und Handelsweise aus Sicht der neuen Lebenssituation nach- und überdenken und ich habe meine Lebenseinstellung deshalb gründlich hinterfragt und überprüft.
Das Resumée:
Ich bin seit dem 4. Juli, also gerade mal zweieinhalb Monaten, bewusst Krebspatient und in Behandlung. Bis zu diesem Tag lebte ich enorm frei und selbstbestimmt, hatte eine unbeschwerte tolle Kindheit, viel Freiheit in meiner Jugend und war im Beruf vom Start weg bis heute selbständig erwerbend; auch in meinen gut zwanzig Ehejahren fühlte ich mich sehr frei, finanziell hatte ich stets genug, um meinen nicht abgehobenen Lebensstil zu pflegen. Als Atheist kenne ich keine höhere Macht und bin somit auch keiner unterworfen oder verpflichtet; einzig in meiner Zeit in unserer Milizarmee bekam ich anfänglich den einengende Gehorsam zu spüren. In den letzten Jahren habe ich meinen Einsatz im Betrieb kontinuierlich abgebaut und mir dadurch noch mehr Freiraum verschafft.
Darum ist es für mich nicht einfach, nun alles einem einzigen veränderten Zustand, der Krankheit, zu unterwerfen, umso mehr, als ich mich total fit fühle. Es fällt schwer, meine Planung, mein Verhalten nahezu alles der Therapie unterzuordnen, ich suche stets das Neben- oder Miteinander, die Koordination.
Eines meiner Lebensmotto war und ist: "Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben". (C. Saunders)
Ich weiss, dass ich an meiner Einstellung und an meinen Verhaltensmustern arbeiten muss, und dies sofort. Nicht ganz einfach, denn was manN sich in 67 angelebt hat, das lässt sich nur schwer von heute auf morgen ändern.
Ich weiss, die Therapie hat Vorrang, der Krebs ist eine sehr ernste Erkrankung, die Blase kann mit konsequent guter Behandlung vielleicht erhalten werden und es liegt an mir, meinen Behandler wo es nur geht zu unterstützen. Ich gebe mir diesbezüglich alle erdenkliche Mühe, insbesonders beim setzen von Prioritäten.
Ich pflege kein Selbstmitleid, der Krebs ist für mich weder Beleidigung noch Strafe, ich frage mich auch nicht nach dem Warum, oder warum ich? Ich habe mich in meinem Leben oft gefragt: warum nicht ich, jetzt bin ich für einmal mit von der Partie. Pech, aber ich hoffe, es gibt noch ein paar Runden auf dem Karussell.
Wenn nicht, dann kann ich doch dankbar auf ein erfülltes spannendes Leben zurückblicken, ich bin mit mir und meinen mir lieben Verwandten und Freunden im Reinen, habe nichts zu bereuen und für mich eh das beruhigendste im Leben ist und war diesbezüglich immer meine Mitgliedschaft bei Exit, der Sterbehilfeorganisation. Ob Krebs im Endstadium, beginnende Demenz, unerträgliche Schmerzen bei total infauster Prognose, oder was zum Kuckuck alles zu einem unmenschlichen Dasein führt, - ich muss nicht alles bis zum bitteren Ende mit- und durchmachen, ich kann selbstbestimmt und eigenverantwortlich mein Leben beenden, mich von meinen Liebsten verabschieden und würdevoll abschliessen, wenn mein Dasein für mich nicht mehr lebenswert und erträglich ist, das beruhigt enorm, dafür bin ich dankbar; ob ich den Schierlingsbecher je austrinken werde, das ist offen, aber eben, es ist möglich, bei uns auch von Staats wegen.
Dies ist meine ganz persönliche Lebensphilosophie, und meine ureigene für mich passende Vorstellung von Leben und Sterben. Trotz Krankheit hat sich daran nichts wesentlich geändert. Dies zu schreiben hilft mir zu begreifen und verarbeiten und hoffentlich anderen, mich zu verstehen.