Liebe Seewind,
deine Worte berühren mich sehr. Danke, dass du mich an deiner Geschichte teilhaben lässt.
Ich kenne deine Gedanken nur zu gut. Ich war letzte Woche beim Balsenmapping in meinem angestammten Krankenhaus und da hat mich der Arzt direkt wieder darauf aufmerksam gemacht, dass ein bildgebendes Verfahren zur Untersuchung der Niere angebracht wäre. Mein Urologe vor Ort hat dem zugestimmt und mir die Überweisung zum MRT ausgestellt. Die Untersuchung findet Ende Mai statt, wenn ich nicht terminlich über eine Warteliste vorrücken kann. Schon jetzt sehe ich der Untersuchung mit gemischten Gefühlen entgegen und würde es am liebsten wie die 3 Affen handhaben: Nichts sehen, nichts hören, nicht sprechen.
Bis mein Körper durch einen Zusammenbruch Alarm geläutet hat und ich mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren wurde und durch Zufall oder Schicksal in ein wunderbares Krankenhaus in einer komplett fremden Stadt gekommen bin, habe ich einen Ärztemarathon durchlaufen, in dem ich zig Fehleinschätzungen (das sind die Wechseljahre, Sie haben kein Wasser in den Beinen, das bilden Sie sich ein, Sie haben eine Blasenentzündung, da brauchen wir den Urin nicht zu untersuchen, ein Harnverhalt?... ja, ja das ist normal bei Blasenentzündung, Blut im Urin? Das brauchen wir nicht zu untersuchen, da sieht man durch das Blut ja eh nichts...). - Aber: Es war ein Urothelkarzinom des Nierenbeckens.
Auch wenn die Ärzte, die meine Beschwerden abtaten, nicht mehr in meinem Leben vorkommen, hat diese Vorgeschichte dazu geführt, dass ich mir selbst, was die Niere betrifft, den Vorwurf mache, die Symptome nicht besser gedeutet zu haben und zu unkritisch diesen ganzen Diagnosen gegenüber gewesen bin. Das wiederum führt dazu, dass ich den Kreatinin Wert streng im Auge behalte und bei der leisesten Abweichung bereits unruhig werde, denn wie auch dir, ist mir sehr präsent, dass es halt nur noch diese eine gibt und hier eine potentielle Gefahr existiert
Darüber hinaus: Ein Blick morgens in den Spiegel und ich kontrolliere die Ringe unter meinen Augen (dunkler als sonst, Zeichen für Wassereinlagerungen?, der Rücken schmerzt, sind es wirklich nur Rückenschmerzen oder ist es etwa die Niere?, Gelenkschmerzen? ist es der Knochenstoffwechsel, der wieder durch die Niere beeinflusst wird?).
Und auch ansonsten bin ich eine sehr kritische Patientin geworden.
Ich freue mich über Tage an denen ich ein bisschen unbeschwert bin und die Gesundheit vergesse. Aber diese Momente sind selten, insbesondere wenn das Wetter grau ist. Die Worte meiner Ärzte: "Blasenkrebs ist wie Unkraut" werden, glaube ich, ewig in meinem Kopf herumschwirren.
Meine Psychologin sagt, dass ich vom psychologischen Standpunkt her die richtigen Schritte gehe, dennoch überfällt mich immer mal wieder Traurigkeit und ich fühle mich oftmals in diesem Szenario gefangen. Leider ist es so, dass ich gut gemeinte Ratschläge oftmals nicht als hilfreich erachte.
"Du musst positiv denken. Du musst kämpfen. Du bist stark." Das stresst mich oftmals. Habe ich dann nicht genug gekämpft, positiv gedacht oder bin ich doch zu schwach, wenn es wiederkommt? Habe ich die Symptome falsch gedeutet, war nicht aufmerksam/ achtsam genug meinem Körper gegenüber?
Zusätzlich zu meinem Urologen habe ich mir einen Nephrologen an die Seite geholt, der alle 6 Monate meinen Nierenwert, meinen Vitamin D-Wert etc. mit mir akribisch durchgeht. Durch die Einzelniere ist man ja automatisch niereninsuffizient und kann zum Nephrologen. Diese Kontrolle hilft mir sehr und gibt mir Halt.
Mein Mamma CA war wohl schon auf Mammographie-Aufnahmen 2019 zu sehen und ist leider übersehen worden. Erst bei den CTs auf der Suche nach der Ursache meiner Nieren-Beschwerden ist das Mamma CA dann erkannt worden.
Der Tumor in der Blase hat sich ein Jahr nach der Niere durch Blut im Urin und durch Schmerzen bemerkbar gemacht, aber mehrere Ärzte haben dies nicht in Verbindung mit meiner Vorgeschichte bringen wollen bis ich privat ein MRT in Auftrag gegeben habe, weil mich niemand zeitnah drannehmen wollte.
All dies hat dazu geführt, dass ich mittlerweile gute Ärzte an meiner Seite habe und auch sehr zu schätzen weiß, jedoch leider auch gelernt habe, dass Misstrauen, wenn es um die eigene Gesundheit geht, durchaus angebracht ist und diese ernüchternde Erkenntnis habe ich noch immer nicht ganz verdaut. (Wie ich lese, hast auch du hier bereits Erfahrung in Bezug auf deine Chemo..)
Mach dir keine Gedanken, dass das Mitomycin erst 6 Stunden später verabreicht wurde. Bei mir lagen, wenn ich mich richtig erinnere, sogar ein paar Tage dazwischen, aber ich glaube nicht, dass das der Grund für ein Rezidiv war. Letztlich ist so eine Nierenentfernung ja auch kein Spaziergang und der Körper braucht danach doch auch Schonung.
Ich wünsche dir so viel Kraft, bei allem was jetzt ansteht und kann so gut nachfühlen, wie es dir geht. Ich habe hier im Forum gelesen, dass das Augusta Krankenhaus in Bochum eine Studie durchführt, bei der im Vorfeld einer Blasenentfernung eine Art Immuntherapie zum Einsatz kommt, wenn der Kreatinin-Wert zu schlecht ist, um eine Chemo durchführen zu lassen. Das betrifft dich nicht und mich momentan auch nicht, aber ich merke mir sowas immer für den Fall der Fälle.
Ich habe jetzt ganz viel aus meinem Leben geplaudert, weil ich dir deine Angst natürlich nicht nehmen kann, dich aber, nachdem du mir von dir erzählt hast, auch ein bisschen an meiner Geschichte teilhaben lassen wollte.
Ich habe einen Partner, der ganz viel über die Rente nachdenkt und spricht, während ich versuche mehr im Moment zu leben, weil ich Angst habe, die schönen Momente zu verpassen, wenn ich wie früher, für die Zukunft lebe. Versuche nicht, dich von deiner Angst dominieren zu lassen (Das sage ich mir zumindest immer, wenn ich das Gefühl habe, von meiner Angst überrollt zu werden und mich bspw. aus einem Zoom-Call mit Kollegen verabschieden muss, weil wieder eine Kontrolle ansteht und ich Tränen vor Angst in den Augen habe). Ich bin ein großer Fan von Affirmationen und Atemtechniken. Wenn es richtig mit mir durchgeht, suche ich mir entsprechende Sprüche und versuche diese zu verinnerlichen und ich atme. Gerne können wir auch direkt miteinander schreiben. Ich habe noch nicht verstanden, wie das hier über das System geht.
Ich glaube beim Urothelkarzinom des Nierenbeckens gibt es auch bei den Ärzten noch viele Fragen, weil es relativ selten ist.
Hoffen wir einfach, dass alles gut werden wird! Eine andere Alternative gibt es, denke ich, nicht.
Fühle dich ganz fest umarmt!
Liebe Grüße
Juli71
PS.: Ich finde es immer etwas schwierig, hier so in die Fremde zu schreiben. Man kennt sich nicht und ich hoffe sehr, dass ich die richtigen Worte gewählt habe.