Mein Pouch - eine Geschichte mit positivem Ausgang (Bericht beginnend im Jahr 2004)

  • Teil 1: Ich kriege einen Pouch


    Seit meine Geschichte begann, sind jetzt 3 Jahre vergangen.


    Heute kann ich sagen: es geht mir gut, ich bin froh und glücklich mit meinem Pouch, ich kann wieder meiner Arbeit in der Apotheke nachgehen,

    ich reite wieder, fahre Rad, laufe Ski, kann wandern und schwimmen und noch vieles mehr. Dies alles habe ich dem Können von wunderbaren Ärzten,

    der liebevollen und nimmermüden Arbeit von Pflegern und Schwestern, und nicht zuletzt der seelischen Unterstützung von meinem Mann, meiner

    Schwester und vielen lieben Freunden zu verdanken.


    Die Geschichte meiner Krebserkrankung beginnt im Herbst 2004. Nach mehreren Harnwegsinfekten verweigert mein Hausarzt richtigerweise eine

    Weiterbehandlung und überweist mich an einen Urologen. Nach Sonographie, Blasenspiegelung mit Biopsie und Nierenröntgen lautet der Befund:

    banaler Harnwegsinfekt, erneut Therapie mit Antibiotikum und der Empfehlung viel mehr zu trinken. Auch ein zusätzlich aufgesuchter

    Gynäkologe kann keine Ursache für die Infekte finden. Also trinke ich täglich bis zu vier Liter Flüssigkeit und muss dementsprechend häufig

    zur Toilette, auch nachts. Rückenschmerzen habe ich seit dreißig Jahren; ich habe gelernt damit zu leben und stelle keinen Zusammenhang mit den

    Harnwegen her. Schließlich produzieren meine Nieren ja fleißig und reichlich Urin.


    Es vergehen eineinhalb Jahre ohne besondere Ereignisse, bis ich Ende März 2006 plötzlich ein riesiges Blutkoagel im Urin entdecke. Ich suche

    also schleunigst meinen Frauenarzt auf, in meinem Alter naheliegend. Der kann keine gynäkologische Ursache finden und macht eine

    Ultraschalluntersuchung, bei der er einen Tumor von 5cm Größe in der Blase entdeckt.


    Jetzt geht alles ganz schnell:


    Noch am selben Tag, es ist ein Dienstag, bestätigt der benachbarte, sofort aufgesuchte Urologe Dr.Liedtke bei einer Blasenspiegelung die

    Tumordiagnose mit “Verdacht auf Blasen-Ca” und meldet mich für den Donnerstag im Klinikum Ibbenbüren an. Vorher werden von ihm noch meine

    Nieren geröntgt mit einem katastrophalen Ergebnis: die rechte Niere arbeitet fast gar nicht mehr, die linke Niere ist stark angestaut.


    Den Mittwoch verbringe ich noch damit, wichtige Dinge zu regeln, wie mich bei meiner Arbeitgeberin wegen Krebserkrankung vorläufig

    abzumelden, mein Pferd Hexe, das mit uns unter einem Dach lebt, ordentlich mit Betreuung unterzubringen und die Nachbarn einzuweisen -

    wir leben auf dem Land.


    Donnerstag liefert mich mein Mann dann im Klinikum Ibbenbüren ab; ich habe das Glück, auf einer hervorragenden urologischen Abteilung gelandet

    zu sein. Der Chefarzt Dr.Hönecke ist etwa in meinem Alter. Er ist mir auf Anhieb sympathisch und wir vereinbaren völlige Offenheit. Meine

    Eltern sind beide an Krebs gestorben und ich glaube, dass ich mit Befunden diesbezüglich ganz gut umgehen kann.


    Auf der urologischen Station herrscht die selbe freundliche und warmherzige Atmosphäre wie in der Ambulanz. Nach Zuweisung meines

    Einzelzimmers (ich bin zusatzversichert) erfolgen die üblichen Gespräche und Formalitäten, denn am folgenden Freitag soll die TUR-B stattfinden,

    bei der Dr. Hönecke auch versuchen will, zur Entlastung der Nieren die Harnleiter zu schienen.


    Um es vorweg zu nehmen:


    Dr.Hönecke ist keine R0-Resektion möglich gewesen, ebensowenig hat er die Harnleiter schienen können; der Tumor sitzt im Trigonum und die

    Sicht ist extrem schlecht gewesen. Mit bekümmerter Miene erklärt er mir bei der Abendvisite, dass der Tumor vermutlich schon muskelinvasiv sei,

    was, falls der Pathologe diesen Befund bestätigt, eine Zystektomie erforderlich macht.


    Peng!!! - Der Schuss hat getroffen.


    Da sitze ich nun - ein Freund hat den Pathologen beschleunigen können - mit der Diagnose muskelinvasiver Harnblasenkrebs pT2-3, G2, geliefert am

    Samstag per Fax. Als Lektüre übers Wochenende hat Dr.Hönecke mir das Informationsheft der “Blauen Reihe” dagelassen. Montags soll dann das

    weitere Vorgehen besprochen werden. Ich liege also im Bett mit Blasenkatheter und Spülung, lese und denke nach.


    Meine Entscheidung ist schnell gefallen:


    Da eine Neoblase bei mir wegen Befalls der Harnröhre nicht infrage kommt, ich keinesfalls als Beuteltierchen rumlaufen will und einen

    Sigma-Pouch ablehne, bleibt als neue Harnableitung nur ein Mainz-Pouch 1.


    Am Montag teile ich Dr.Hönecke meine Entscheidung mit. Die Operation wird auf Montag, den 24.April festgesetzt, also in drei Wochen.

    Dienstags gelingt es Dr.Hönecke noch die Harnleiterschienen zu legen, ich werde vom Gynäkologen untersucht, und mittwochs werde ich ins CT

    geschoben. Leider sind in dieser CT Lymphknoten zu sehen - ein weiterer Schuss vor den Bug. Am Donnerstag werde ich dann erst mal nach Hause

    entlassen.


    Jetzt habe ich 2 1/2 Wochen Zeit, mich auf das Kommende vorzubereiten. Ich bin Pragmatiker und gehe voll auf Angriff. Ich lese in Fachbüchern

    und im Internet Unmengen an Infos über Harnblasenkrebs und Pouch und halte mich körperlich weiterhin fit, um nach der OP schnell wieder in

    die Hufe zu kommen. Zu den präoperativen Untersuchungen fahre ich die 13km nach Ibbenbüren mit dem Rad, und mit Freunden und Bekannten rede

    ich ganz offen über meine Erkrankung. Angst vor der Operation habe ich keine. Ich habe volles Vertrauen in die Fähigkeiten von Dr.Hönecke.

    Meine einzige Angst ist, was er noch finden könnte, wenn ich erst mal aufgeschnitten bin....


    Am 22.April darf ich nur noch trinken. Zur Ablenkung machen mein Mann und ich einen Ausflug nach Bad Oexen; dorthin werde ich möglicherweise

    zur Reha kommen. Am Sonntag, den 23.April belege ich erneut mein Einzelzimmer auf der urologischen Station und verbringe den Tag mit dem

    Trinken dieses ekelhaften Gesöffs zum Abführen. Obwohl die Schwestern mir den Drink eisgekühlt servieren, kann ich das Zeug nur mit Mühe

    runterwürgen. Ich finde, diese Darmleerung ist das Schlimmste bei solch einer OP.


    Für die gesamte Operation sind 6 Stunden eingeplant - es werden schließlich 10 Stunden. Eine liebe Freundin, die auf der Intensivstation

    Dienst tut, hat sich extra für diesen Montagnachmittag einteilen lassen und informiert stündlich meinen Mann, der die Warterei fast nicht

    aushält. Gegen 19.00 Uhr komme ich dann wohl auf der Intensivstation an.


    An die genaue Chronologie der postoperativen Zeit habe ich keine Erinnerung. Ich kann also nicht sagen, an welchem Tag welcher Schlauch,

    welcher Beutel und welcher Verband entfernt wurde.


    Meine Erinnerung an die Intensivstation:


    Perfekte Versorgung, liebevolle Pflege, mehrmals täglich Visite (Urologe, Gynäkologe, Anaesthesist) und wirklich niemals Ruhe. Dauernd

    piepst irgendein Gerät oder ein Monitor gibt Alarm. Als am Donnerstag beim Verbandswechsel der Schmerzkatheter aus dem Rücken flutscht, werde

    ich auf intramuskuläre Morphininjektionen umgestellt. Nachmittags komme ich auf die Station zurück auf mein Zimmer.


    Da liege ich wie ein Maikäfer auf dem Rücken, überall Kabel, im Hals, im Bauch, einen Infusionsständer voller Flaschen neben mir, und am Bett

    hängen reichlich Beutel.


    Es kommt der ausführliche Bericht des Pathologen:


    pT3a, G2, M1, pN2(12/20), L1, ausgeprägte Lymphangiosis carcinomatosa. Eine Hammerdiagnose. M1 ist die Cervix, die ist ja weg. Aber die

    Lymphknoten und Lymphbahnen...


    Ich muss also eine Chemotherapie hinterher schieben.


    Vorerst schreitet die Genesung voran. Ich muss ein Abführmittel einnehmen, damit der Darm wieder mit seiner Arbeit beginnt und als

    nächstes wird der zentrale Zugang am Hals entfernt. Meine erste feste Nahrung ist labberiges Weißbrot - na ja.


    Nach erfolgreichem Stuhlgang werde ich zuerst auf Diätkost, dann auf normale Kost gesetzt. Ein Pfleger bringt mir eine Stofftasche, in der

    ich meine diversen Beutel verstauen kann, denn ich will meinen Bewegungsdrang ausleben. Ins Bett gehe ich nur noch für ein kurzes

    Nickerchen nach dem Mittagessen und zur Nacht. Ansonsten sitze oder laufe ich herum, lese und telefoniere viel, kriege einen Haufen Besuch

    und bereite mich auf den geplanten Sommerurlaub vor, eine Radtour entlang der Loire von Nevers nach St.Nazaire. Dr.Hönecke meint, es

    könnte klappen: drei Wochen Erholung zu Hause, dann der Urlaub und anschließend die Chemotherapie.


    Mein lieber Mann leidet viel mehr als ich; er sieht schlecht aus. Aber wir haben wunderbare Freunde, die ihn auffangen und unterstützen.


    Doch auch ich habe meine Durchhänger; meine Gedanken kreisen:


    wie kommt mein Mann ohne mich zurecht, was wird aus meinem alten Pferd, was aus unserem Hund wenn ich sterbe?


    Unsere Bernhardinerhündin Hanna wird von Tag zu Tag unausstehlicher - sie sucht mich den ganzen Tag und überall, das macht meinen Mann

    ziemlich hilflos, denn sie läßt sich von ihm nicht wirklich beruhigen. Auch das belastet mich und macht mich traurig. Die Schwestern auf der

    Station sind einfach großartig. Sie nehmen mich in den Arm und spenden mir Trost - ich habe so manchen Schwesternkittel nassgeweint.


    Auch meine Schwester gibt mir Halt. Sie lebt in den USA; jeden Tag pünktlich um 18.00 Uhr, also bei ihr Mittag, ruft sie an. Sie hat es

    nicht ein einziges Mal vergessen.


    Nach und nach werden Kabel und damit auch Beutel entfernt. Irgendwann kommen auch die Klammern aus meinem Bauch. Ich bin fassungslos: man hat

    mich zugetackert wie ein Paket...


    Es ist Mai, die Sonne scheint, es ist heiß bis zu 30° und ich will raus. Das bedeutet, dass ich, zuerst nur in Begleitung, später auch allein in

    dem schönen Park des Klinikums lustwandele. Die Urologie liegt im 5.Stock, in den Park geht es durch den Keller. Unter Missachtung des

    Aufzugs steige ich mehrmals täglich 6 Etagen runter und wieder rauf, zunächst mit vielen Pausen, dann am Stück. Das trainiert.


    Eigentlich geht es mir gut, allerdings habe ich starke Probleme mit Blähungen und Koliken; ich vertilge reichliche Mengen an Simethicon, das

    hilft ein bisschen. Dr. Hönecke spült täglich meinen Pouch; mit einer Engelsgeduld kontrolliert er per Sonographie meine Nieren, wenn ich mal

    wieder über Rückenschmerzen klage. Ich habe schon Angst zum Hypochonder zu werden. Aber meine Nieren erholen sich hervorragend und arbeiten

    nahezu perfekt. Die Schmerzen kommen eher von der Matratze des Krankenhausbetts.


    Die beiden letzten Beutel werden entfernt - der Pouch wird nun in Betrieb genommen. Der Nabelkatheter und der Cystofix werden mit Stöpseln

    verschlossen. Ich muss jetzt alle zwei Stunden, auch nachts, die Stöpsel ziehen und den Pouch leeren. Außerdem lerne ich, meinen Pouch zu

    spülen. Bald geht`s nach Hause.


    Teil 2: Chemotherapie


    Mein Mann ist sehr in Sorge um mich und möchte noch die Meinung eines Onkologen einholen. Dr.Hönecke besorgt uns einen Termin in Osnabrück bei

    Prof.Hartlapp. Der sieht mich und meine hervorragende Konstitution und schlägt vor, sofort mit der Chemotherapie zu beginnen: “Der Krebs

    schläft nicht”. Wir sagen zu und den Urlaub ab.


    Ich komme also für drei Tage nach Hause. Am Dienstag, den 23.Mai rücke ich im Klinikum Osnabrück ein. Das Wetter ist schlecht geworden, es

    regnet und ist ziemlich kalt. Ich bekomme Fieber. Ich werde diagnostisch auf den Kopf gestellt, eine Ursache wird aber nicht gefunden. Der

    Donnerstag ist Feiertag (Christi Himmelfahrt), dann kommt das Wochenende, also beginnt die Chemotherapie erst in der neuen Woche. Zu

    diesem Zeitpunkt habe ich meinen ersten und einzigen Klinikkoller. Ich heule und fühle mich wie im Knast. Das Wetter ist schei sse, ich kann

    nicht raus, das Zimmer ist relativ dunkel, ich habe Sehnsucht nach meinen Tieren, ich will nur noch weg. Aber alle sind lieb zu mir: ich

    bekomme eine Verordnung für die klinikeigene Muckibude, die ich auch sofort nutze und laufe und radle meinem Frust davon. Samstag und Sonntag

    darf mein Mann mich für ein paar Stunden abholen; wir fahren nach Münster und nach Bremen. Ich beruhige mich und schöpfe wieder Mut -

    Prof.Hartlapp sei Dank.


    Dienstag beginnt der erste von vier Zyklen Chemotherapie Gemcitabin/Cisplatin.


    Die Infusion mit Gemcitabin läuft etwa eine Stunde, dann habe ich frei. Den Mittwoch verbringe ich überwiegend im Bett, denn es laufen etwa zehn

    Stunden lang wechselnde Infusionen, eine davon mit Cisplatin. Es geht mir gut und ich vertrete die Meinung, die Verträglichkeit von

    Chemotherapie sei wohl Kopfsache....


    Abends um 21.00 Uhr, mein Mann will mir gerade am Telefon gute Nacht sagen, geht die Übelkeit los. Ich erbreche, mir ist elend, ich fühle

    mich total schlapp. Morgens kommt der Pfleger mit Kontrastmittel, das ich schlucken soll, denn ich muss noch in die CT. Geniales Timing: das

    geschluckte Kontrastmittel kommt postwendend zurück. Erst massiver Einsatz diverser Antiemetika lässt mich eine kleine Menge Kontrastbrei

    behalten und die CT wird durchgeführt. Freitag werde ich entlassen, Dienstag soll ambulant eine Infusion mit Gemcitabin erfolgen, ab

    Mittwoch werde ich dann noch mal wenige Tage in der Urologie bei Dr. Hönecke verbringen. Dann soll der Nabelkatheter entfernt werden und ich

    das Katheterisieren erlernen. Das Wochenende, es ist Pfingsten, verbringe ich überwiegend im Bett oder auf dem Sofa. Mir geht es

    schlecht, mir ist übel, ich bin nur müde, ich kann nicht essen, ich soll viel trinken aber fast nichts bleibt drin. Erst am Montag erhole ich

    mich etwas.


    Ich habe, damit das Zytostatikum nicht rückresorbiert wird, den Pouch auf Anordnung von Dr.Hönecke während der Chemotherapie stillgelegt und

    einen Beutel angeschlossen. Dienstag erhalte ich ambulant meine zweite Portion Gemcitabin.


    Von Mittwoch bis Freitag übe ich im Klinikum Ibbenbüren den Umgang mit meinem Pouch. Das Katheterisieren lerne ich schnell und bin ab jetzt ein

    freier Mensch. Theoretisch müsste es mir gut gehen.


    Aber die Chemotherapie macht mich schlapp und müde, manchmal habe ich rasende Kopfschmerzen, ich leide unter permanenter Übelkeit, alles

    schmeckt nach Metall und ich helfe mir, indem ich Fruchtsaftschorlen und Cola trinke. So geht es einigermaßen. Kurz vor dem dritten Zyklus geht

    es mir sogar so gut, dass ich meinen Mann übers Wochenende zu einer Fortbildung nach Würzburg begleiten kann. Ich bin mittlerweile so mit

    diversen Antiemetika vollgestopft, dass ich Nahrung und Getränke meistens bei mir behalte.


    Trost in all dem Elend spendet mir unsere Bernhardinerhündin Hanna. Sie ist schon 12,5 Jahre alt und will nur bei mir sein. Sie weicht nicht von

    meiner Seite. Der Sommer ist extrem heiß und so hängen wir zwei im kühlen Haus auf dem Sofa und Teppich herum. Gelegentlich drehen wir eine

    Runde ums Haus; die Nachbarn erledigen das Nötigste wie Blumengießen und Rasenmähen. Einer mäht unsere Weide aus und macht für seine Pferde

    Heu.


    An einem Donnerstag erleidet unsere Hanna einen Hitzekollaps; wir versuchen mithilfe der Tierärztin alles, aber am Freitag besteht keine

    Hoffnung mehr. Der Hund ist nicht mehr zu retten und muss eingeschläfert werden. Gemeinsam mit Freunden begraben wir den Riesenhund. Mein Mann

    und ich schämen uns unserer Tränen nicht. Wir haben ein liebes Familienmitglied verloren.


    Am Samstag dann ein neuer Schock:


    mir läuft Urin aus dem Bauch. Ich fahre zur urologischen Ambulanz. In Ibbenbüren ist immer jemand für mich da. Zunächst wird mir ein

    Ballonkatheter gelegt, um das Stoma zu verschließen und den Pouch stillzulegen. Am Montag schlage ich erneut bei Dr.Hönecke auf. Der sagt

    mir ganz offen, dass er eine solche Revisions-OP nicht machen werde, da er nicht genügend Erfahrung damit habe. Er verweist mich an Prof.Roth

    zum Helios-Klinikum in Wuppertal. Dieser ist versiert in spezieller urologischer Chirurgie. Zunächst muss aber die Chemotherapie beendet

    werden.


    Anfang August ist der vierte Zyklus, Ende August werde ich in Wuppertal aufgenommen und zwei Tage später wieder nach Hause geschickt. Wegen

    schlechter Blutwerte muss die Operation um eine Woche verschoben werden.


    Teil 3: Zwischenzeit


    Am 30. August ist es dann soweit - die Revisions-OP kann durchgeführt werden. Wieder folgt das selbe Spiel: Ekelzeug trinken, Abführen. Am nächsten Tag Operation.


    Die alte Bauchnaht wird ein Stück weit aufgeschnitten und Prof.Roth konstruiert in vierstündiger Arbeit einen neuen Kontinenznippel. Vom

    Essen abgesehen - und ich bin wirklich nicht verwöhnt - ist die Betreuung und Pflege in Wuppertal hervorragend. Ende September werden im

    Klinikum Ibbenbüren von Dr.Hönecke Nabelkatheter und Cystofix entfernt; allerdings merke ich gleich, dass ich nicht so richtig dicht bin.


    Mein Mann und ich gönnen uns erst einmal 10 Tage Urlaub in Frankreich; am 10.Oktober soll ich in Badenweiler im Markgräfler Land meine AHB

    antreten. Während des Urlaubs stellt sich heraus, dass doch das Nabelstoma nicht richtig kontinent ist. Ich bin stark verunsichert, mein

    Mann genervt und der Erholungswert der Reise entsprechend reduziert. Nach telefonischer Rücksprache mit Prof.Roth sage ich die AHB zunächst

    ab und fahre nach Wuppertal; hier kommen alle urologisch-technischen Mittel der Diagnostik zum Einsatz. Eine konkrete Ursache der partiellen

    Inkontinenz wird nicht gefunden.


    Also reise ich erst einmal nach Badenweiler. Diese AHB ist rundum gelungen, das Wetter ist einfach traumhaft, ich mache viel Sport, habe

    Umgang mit netten Leuten, das Essen schmeckt und ich kriege sogar 3mal Besuch. Ich fahre nach Freiburg zum Shoppen und als ich mit meiner

    Wanderfreundin Heidi in gut zwei Stunden den “Blauen”, den Hausberg von Badenweiler erwandere, wobei wir immerhin 750 Höhenmeter bewältigen,

    erkläre ich mich für gesund. Mit meinem Dichtigkeitsproblem versuche ich mich zu arrangieren....


    Die vierteljährlichen Kontrolluntersuchungen bei Dr.Hönecke (Urologie) und Prof.Hartlapp (Onkologie) verlaufen optimal - alles im grünen

    Bereich.


    Ab Mitte November arbeite ich wieder in der Apotheke, allerdings zunächst als Wiedereingliederungsmaßnahme mit reduzierter Stundenzahl.

    Ich hole mein Pferd Hexe in den heimischen Stall zurück, reite wieder und versuche ins normale Leben zurückzufinden. Über die Weihnachtstage

    bis zum 1.Januar kommt meine Schwester aus den USA zu Besuch; wir genießen diese gemeinsame Zeit sehr.


    Dass ich mich aber bäuchlings ständig wasserdicht verpacken muss nervt mich zusehends. Außerdem zeigt meine Haut immer mehr Irritationen. Ich

    hole mir im Januar erneut Rat bei Prof.Roth, der auch postoperativ am Wohl und Wehe seiner Patienten interessiert ist. Er entscheidet, eine

    zweite Revisions-OP durchzuführen. Dr.Hönecke, der mich weiterhin hier zuhause urologisch betreut, beschließt sogar, mit nach Wuppertal zu

    kommen und bei dieser OP zu assistieren. Diese Tatsache beruhigt mich zusätzlich ungemein. Der Eingriff wird auf den 28.Februar 2007

    terminiert. Als vergnügungssüchtiger Mensch will ich nämlich erst noch mit meinem Mann Anfang Februar zum Skilaufen in die Schweiz fahren.


    Nach Rückkehr aus dem Winterurlaub steht wieder ein onkologischer Nachsorgetermin an, einschließlich einer CT. Gott sei Dank - es ist

    nichts zu sehen, alle Werte sind vom Feinsten. Und so reise ich am 26.Februar frohgemut mit dem Zug nach Wuppertal, um mein

    Dichtigkeitsproblem endgültig lösen zu lassen.


    Teil 4: Happy End bis heute


    Ich habe es ja schon geahnt:


    Für mich werden wieder vier Liter Ekeldrink zubereitet. Ich würge diese gut gekühlt, mit Apfelsaft vermischt, mit Tee und Brühe nachgespült

    herunter; ich habe an diesem Dienstag sicher 8l Flüssigkeit, also fast einen Eimer voll getrunken, allerdings hat sich auch der gewünschte

    Erfolg eingestellt. Abends kommt Herr Prof.Roth noch zur Visite. Er verspricht mir, dass es diesmal klappt, er habe zur Sicherheit noch mit

    seinem ägyptischen Kollegen telefoniert; Prof.Roth flösst mir wie immer viel Vertrauen ein.


    Mittwochmorgen um 8.00 Uhr werde ich in den OP gefahren.


    Ich wache am frühen Mittwochabend in meinem Zimmer auf; ich bin wieder reichlich verkabelt aber schmerzfrei. Mein Mann ruft freudig erleichtert

    an. Dr.Hönecke hat ihn informiert, dass alles gut verlaufen ist, auch wenn sich die Operation aufgrund der vielen Verwachsungen und schlechter

    Sicht als extrem schwierig erwiesen hat. Deswegen auch eine Dauer von 5 Stunden...


    Am Donnerstag geht es mir richtig gut. Ich schicke Dr.Hönecke eine SMS und danke ihm für sein Engagement; er ruft mich an und freut sich mit

    mir.


    In der Nacht zu Freitag quälen mich Blähungen. Die Koliken sind so stark, dass ich nach der Schwester klingele. Wegen des frisch operierten

    Darms mag sie kein Darmrohr legen, sondern serviert mir frisch gekochten Fencheltee, der mir aber keine Erleichterung verschafft. Ich

    bin hart im Nehmen, aber am Morgen liege ich im Bett und mir laufen Tränen des Schmerzes aus den Augen. Die Schwestern, die mich ja schon

    gut als rheinische Frohnatur kennen und wissen, dass mich so schnell nix umhaut, schlagen Alarm. Prof.Roth kommt angaloppiert mit dem

    unermüdlichen Dr.Kaldenbach im Schlepptau. Mein aufgeblähter brettharter Bauch wird abgehört und mithilfe des mobilen Sonographiegeräts eine

    Verstopfung des Pouches diagnostiziert, obwohl dieser ständig gespült wird. Nachdem Dr.Kaldenbach gründlich gespült und abgesaugt hat, geht es

    mir wieder gut. Am Abend - es ist Freitag und eigentlich schon Wochenende - sind die Koliken wieder da. Ich werde in den OP gefahren

    und Prof.Roth spült den Pouch unter Röntgenkontrolle. Der Pouch hat zwei Segmente; vermutlich verstopft die Verbindung zwischen diesen beiden

    Segmenten immer wieder durch Schleim und Blutkoagel. Prof.Roth hat durch das Spülen im OP eine ziemliche Schweinerei veranstaltet. Als ich mir

    eine Bemerkung darüber nicht verkneifen kann, erklärt er mir, so sei eben Medizin und außerdem gebe es ja Putzkräfte. Ich bin jetzt wieder

    schmerzfrei.


    Prof.Roth verabschiedet sich; er muss am Wochenende zum Kongress nach München.


    Samstag geht das Theater wieder los. Aber Dr.Eggersmann, der Stellvertreter von Prof.Roth hat Dienst und ist ein Mann der Tat: ich

    werde erneut in den OP gefahren und Dr.Eggersmann legt mir auch in das zweite Pouch-Segment einen Ballonkatheter. Das ist die Lösung - ich habe

    endlich Ruhe.


    Jetzt werde ich auch “angefüttert”, der zentrale Zugang am Hals wird entfernt, ich darf aufstehen und starte meine Wanderungen über den

    Klinikflur, meine Beutel in der Ibbenbürener Stofftasche verstaut. Mein Pouch produziert extrem viel Schleim; das Pflegepersonal muss also

    mehrmals täglich und nächtens meinen Pouch spülen. Alle erledigen diese zusätzliche Arbeit freundlich und mit einer Engelsgeduld - niemals hat

    jemand gemeckert. Sicher hat die gute und fröhliche Stimmung und liebevolle Pflege auf dieser Station erheblich zu meiner schnellen

    Genesung beigetragen. Das Essen jedenfalls sicher nicht. Außerdem bekomme ich neben meinem Mann noch mehrmals zusätzlich Besuch, trotz

    recht weiter Anreise.


    Nach gut zwei Wochen werde ich mit zwei Kabeln (Nabelkatheter und ein Cystofix) entlassen. Ich darf den Pouch jetzt volllaufen lassen. Ich

    leere ihn alle 3 Stunden, spüle zweimal am Tag, bei Bedarf auch häufiger und schließe nachts einen Beutel an; so kann ich durchschlafen.


    Ich gehe wieder ein bisschen arbeiten, fahre etwas mit dem Rad durch die Gegend und hoffe, dass die Operation diesmal richtig erfolgreich war.


    Ostern verleben wir drei wunderschöne Tage in Leipzig; Dienstag danach fahre ich nach Wuppertal. Jetzt sind sechs Wochen vergangen und die

    Katheter sollen entfernt werden.


    Nun kommt die Stunde der Wahrheit --- Jubel, alles dicht !!!! Ich bin endlich "stubenrein".


    Das Katheterisieren klappt prima mit ganz ganz wenig Restharn. Bei einer Pouchoskopie mit flexiblem Zystoskop erhalte ich Einblick in meine

    Darmblase und den Weg in dieselbe hinein. Dann kann ich nach Hause.


    Wenn ich jetzt mal verunsichert bin oder Fragen habe, schicke ich Herrn Prof.Roth eine E-Mail. Er hat mich noch nie hängen lassen; ich habe

    immer Antwort bekommen.


    Einen weiteren krankheitsbedingten Rückschlag habe ich hinnehmen müssen: ich habe meine Arbeit verloren. Bei einer anschließenden Bewerbung

    wurde ich angeblich aufgrund meines Alters abgelehnt.


    Doch meine Geschichte hat ein Happy End:


    Ich habe eine neue Stelle gefunden, die mir viel Spaß macht, mit netten Kolleginnen, habe schon meinen ersten Notdienst geschoben, mein Pferd

    ist wieder zuhause, ich reite wieder und kann fast alle anfallenden Arbeiten selbst erledigen. Nur schwer Tragen, das muss und werde ich mir

    verkneifen.


    Wir haben Fahrradurlaub in der Schweiz gemacht und uns dabei super erholt.


    Der letzte onkologische Nachsorgetermin bei Prof.Hartlapp zeigte erneut Ergebnisse vom Feinsten und auch Dr.Hönecke ist mit mir zufrieden.


    Ich wünsche mir, dass mein Bericht anderen Betroffenen Mut macht. Ich habe viele Umwege fahren müssen und etliche Rückschläge eingesteckt,

    aber letztendlich doch ein positives Ergebnis für mich erreicht.


    Das Leben ist schön ! - Auch mit Pouch !


    fünf Jahre später... April 2011


    Am 24.April, also Ostersonntag, war es genau fünf Jahre her, dass ich in der großen OP "ausgeweidet" wurde und meinen Pouch bekommen

    habe. Wir haben uns in dieser Zeit richtig gut miteinander angefreundet; er ist ja ein Teil von mir.


    Mittlerweile führe ich wieder ein ganz normales Leben, freue mich, dass ich meine Arbeit engagiert und mit Herzblut ausführen und meinen

    sportlichen und sonstigen Hobbies nahezu ohne Einschränkungen fröhnen kann.


    Alle bisherigen Nachsorgeuntersuchungen waren ohne Befund; es sieht also ganz danach aus, als könne ich im Kampf gegen den Krebs die Stärkere

    bleiben.


    Ein mieser Befund und eine schlechte Prognose bedeuten nicht automatisch das Ende - ich bin ein positives Beispiel dafür !