Unsere Sicht der Geschichte ... (Bericht aus dem Jahr 2015)

  • Karel geriet in seinem Leben mehrmals in Ausnahmesituationen. Mit seinem starken Willen hat er gelernt, körperliche und geistige Schmerzen zu beherrschen.


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    Vorgeschichte:


    Ende Juli 2015 pinkelt Karel plötzlich Blut statt Urin. Er hat keinerlei Beschwerden, aber wir sind schockiert. Also fahren wir in die Notfallambulanz nach Nimwegen. Der Arzt vermutet eine Blasenentzündung, stellt eine leicht vergrößerte Prostata fest, schreibt ein Antibiotikum vor und empfiehlt den Besuch eines Urologen. Nach einer Untersuchung bei einem Urologen in Kleve wird Anfang September Prostatakrebs diagnostiziert (Gleason 3+4). Die Biopsie erfährt Karel als schmerzhaft. Als er einige Stunden danach nicht mehr Wasser lassen kann, suchen wir den Urologen auf, der einen Blasenkatheter legt, für Karel zum ersten Mal, und wieder verläuft dies sehr schmerzhaft. Dabei ist Karel alles andere als zimperlich. Wir haben inzwischen Zweifel bei diesem Urologen. Der Blasenkatheter wird am nächsten Tag wieder entfernt. Jetzt sollte das Abheilen im Weiteren unkompliziert verlaufen.


    Zwei Tage danach kompletter Harnverhalt. Am frühen Samstagmorgen fahren wir wieder zur Notfallambulanz in Nimwegen, dort wird wieder ein Blasenkatheter gelegt.

    Die Mutter der Freundin unseres ältesten Sohnes ist OP-Assistentin in der Urologie im CWZ und vermittelt uns innerhalb einer Woche einen Termin bei dem Urologen, den sie uns empfiehlt.


    Mitte September 2015 Arzttermin im CWZ (NL). Der Urologe (Dr. V.Bas.) bespricht die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten und Risiken bzw. Folgen (Inkontinenz und/oder Impotenz). Wir entscheiden uns für die radikale Prostatektomie (mit Da Vinci-Roboter).


    Mitte Oktober 2015 erfolgt ein CT-Scan: keine Hinweise auf Metastasen, sogar der diagnostizierte Krebs kann nicht erkannt werden. Dies alles wird als gutes Zeichen gedeutet.


    Am 17. November 2015 findet die 4,5 Stunden dauernde Operation statt, die gut verläuft. Zwei Tage später, am 19. November, kann Karel bereits nach Hause.


    Man hat ihn darauf hingewiesen, dass er in den ersten Wochen, ja sogar Monaten an Inkontinenz leiden würde (große Operation, Alter). Nach einem Gespräch mit einer Physiotherapeutin beschließt Karel, selbst sehr regelmäßig die Toilette aufzusuchen. Ihm zufolge kann die Blase auf diese Weise nicht voll werden und kann er hoffentlich die kleinen Urinmengen leichter kontrollieren. Dies gelingt von Anfang an.

    Es ist also zu keiner Zeit inkontinent.

    Sehr außergewöhnlich.

    (Jetzt im Nachhinein wundern wir uns, warum sich weder der deutsche noch der niederländische Urologe die Blase angeschaut hat und „nur“ die Prostata, nachdem Blut im Urin war.)


    Wir gehen zu allen Nachsorgeterminen, wo vorher jedes Mal eine Blutprobe genommen und der PSA-Wert gemessen wird. Nach der Operation stellt sich heraus, dass dieser Wert nicht mehr messbar ist. Vor jeder Nachsorge nimmt die Spannung zu, danach stellt sich große Erleichterung ein.


    Karel erzählt Dr. v.Bas. mehrmals, wie gut seine Methode, regelmäßig zur Toilette zu gehen, funktioniert und wie glücklich er ist, nicht inkontinent zu sein. Weil es für ihn so gut funktioniert, schlägt er Dr. v.Bas. vor, diese Methode auch anderen Patienten zu empfehlen.


    Wir haben Vertrauen zu Dr. v.Bas., und je öfter sich die Nachsorge als für uns gut erweist, desto zuversichtlicher werden wir, dass alles gut wird.

    Auch im Dezember 2017 ist wieder alles gut.


    Die Geschichte 2018

    Im Februar fühlte sich Karel immer öfter schlapp und müde.

    Seit mehr als 10 Jahren besuchen wir zwischen September und Mai jeden Samstag eine Sauna in der Nähe und schwimmen dort meist 1 km. Es hilft, gesund zu bleiben. Nie Grippe, selten eine Erkältung.

    Seit 2 Jahren machen wir auch täglich einen ca. 1-stündigen Spaziergang durch den nahe gelegenen Wald. In letzter Zeit haben wir unseren Spaziergang immer öfter verkürzt. Es herrscht Grippe.

    Für das Wochenende vom 9. bis 11. März ist ein Wellness-Wochenende in Aachen geplant.

    In der Woche davor muss Karel immer öfter zur Toilette, und er hat wenig Appetit.


    In Aachen, am 9. März, kurz vor Mitternacht, sagt Karel: Ich glaube, wir haben ein Problem. Seit heute Morgen kann ich überhaupt nicht mehr pinkeln.


    Der Schrecken der vorigen Situation im Sommer 2015 ist plötzlich wieder da, und wir beschließen überstürzt, zur Notfallambulanz nach Nimwegen zu fahren. Unserer Meinung nach gehören dieser Notdienst und das Krankenhaus CWZ zusammen, da sie sich im selben Gebäude befinden. Wir glauben, dass man aufgrund Karels Vorgeschichte dort schneller und gezielter helfen kann – statt in Aachen die Notfallambulanz aufzusuchen. Im Nachhinein bereue ich diese Entscheidung zutiefst.


    In Nimwegen angekommen müssen wir von etwa 2.30 bis 5 Uhr warten. Karel versucht, immer wieder zu pinkeln. Kein einziger Tropfen. Leichte Schmerzen im Rücken. Sehr unangenehm.


    Der Arzt würde gerne den Urin testen, aber, weil Karel keinen Urin produzieren kann, geht das nicht. Der Arzt vermutet eine Blasenentzündung, verschreibt ein Antibiotikum (Ciproflaxacin) und rät, uns am Montag die Urologie (im CWZ) aufzusuchen.

    Nach der Einnahme von 2 Tabletten kann Karel wieder ein wenig pinkeln. Er trinkt viel Tee und Säfte, fühlt sich schlapp, ist aber zuversichtlich.


    Am Montag, dem 12. März, melden wir morgens in der urologischen Abteilung des CWZ. Eine junge Urologin (AIOS Team) hört sich unsere Geschichte an und bittet Karel zu urinieren. Es gelingt ihm sogar, etwa 30 ml zu produzieren. Wir vermuten, dass mit der Blase etwas nicht in Ordnung ist. Die Urologin meint, Urintests während einer Antibiotikabehandlung würden kein zuverlässiges Ergebnis liefern ... Sie macht einen Ultraschall der Blase und Nieren, stellt dabei fest, dass die Blase leer ist, und sagt, dass die Nieren normal aussähen. Sie rät Karel, die Kur zu Ende zu machen. Wir sind erleichtert und hoffen, dass die Kur bald anschlägt.


    Am Dienstag, den 13. März fühlt sich Karel kaum besser. Er trinkt zwar, isst aber wenig, fühlt sich schlapp und kraftlos.


    Die Situation ist auch am Mittwoch, 14. März unverändert. Nur Karel fühlt sich noch schlapper, aber er will noch weiter abwarten. Am späten Abend fahren wir dann doch wieder zur Notfallambulanz in Nimwegen.

    Wieder wird Karel gebeten, zu pinkeln, was nicht geht.


    Die junge Ärztin erklärt uns, nachdem sie sich die Beschwerden angehört hat, etwas ungehalten, dass sie nicht da sei, um Probleme zu besprechen, und dass wir am nächsten Tag unseren eigenen Hausarzt aufsuchen müssten. Karel sagt, dass er in den letzten 5 Tagen kaum etwas gegessen hat, aber 5 kg zugenommen hat und ihm auch übel ist.

    Sie klopft ihm die Nieren ab und sagt, dass alles normal sei.

    Auf dem Rückweg muss sich Karel übergeben.

    Es wird eine schwierige Nacht.


    Am Donnerstag, dem 15. März, fahren wir sofort am frühen Morgen zu unserem Hausarzt in Kranenburg.

    Er macht einen Ultraschall, stellt fest, dass die Blase leer ist und die Nieren stark erweitert und gefüllt sind. Die rechte Niere sieht etwas größer als die linke Niere aus - auf dem Ultraschall aber deutlich erkennbar.


    Er schickt uns sofort ins Krankenhaus.

    Wir entscheiden uns erneut für die Urologie im CWZ.

    Wir müssen von etwa 9.30 Uhr bis 14.00 Uhr warten, bis man Karel hilft.

    Nachdem sich ein Urologe unsere Geschichte angehört hat, schlägt er eine Blasenspiegelung vor, die kurz danach durchgeführt wird. Karel unterzieht sich dieser unangenehmen und schmerzhaften Behandlung geduldig.


    Auf dem Monitor können wir sehen, dass die Blase ziemlich „zugewachsen“ aussieht. Der Arzt sagt, dass viel „auffälliges Gewebe“ zu sehen sei. Der nächste Schritt wäre jetzt die Anlage von Kathetern (PCN) in beiden Nieren zur Ableitung des Urins. Also Krankenhausaufnahme. Dann sollten weitere Untersuchungen folgen.


    Karel wird im Krankenbett zum Operationssaal gebracht. Ich bleibe draußen stehen und warte. Zum ersten Mal überfällt mich eine fast unbeherrschbare Angst.

    Es sollte ein kleiner Eingriff sein, erklärt man uns, aber es dauert ziemlich lange.


    Danach darf ich für kurze Zeit in den Aufwachraum. Karel hat einen Katheter auf der rechten Seite. Auf der linken Seite hat man ihn gefühlte 20 Mal angestochen, aber es scheint dem Arzt nicht gelungen zu sein, einen Katheter zu legen. Karel erzählt vom erschrockenen Gesicht eines Assistenten während der vielen Einstiche, und vor allem, als der Arzt aufgibt und unwirsch befiehlt, die Wunden zu versorgen.

    Später wird deutlich, dass Karel an der linken Seite 3 Narben im Abstand von 1 cm hat.

    An diesem Donnerstag, dem 15. März, liegt der MDRD bei 2, es geht also um ein akutes Nierenversagen.

    Man teilt uns mit, dass Verdacht auf Blasenkrebs bestehe. Es muss eine TURT geplant werden, bei der auch ein 2. Versuch zur Anlage des Nierenkatheters links durchgeführt werden wird.

    Und zwar so schnell wie möglich.


    Jeden Tag frage ich einen Arzt, wann diese TURT stattfindet.

    Jedes Mal, höre ich, dass noch kein OP-Platz frei sei. Und – eine Niere würde den Nierenstau gut eine Woche überstehen; wenn nicht, könne man auch gut mit nur einer Niere leben. Die Spannung und das Gefühl, nur abwarten zu können, nicht zu wissen, was auf uns zukommt, ist fast nicht auszuhalten.

    Warum müssen wir so lange warten?


    Letztendlich erfolgt diese TURT am Mittwoch, der 21. März, also 6 Tage später.


    Zum Glück geht es Karel jeden Tag ein wenig besser, aber wir sind (noch) nicht in der Lage, diese neue Situation einzuschätzen, geschweige denn zu übersehen.


    (Wir sind freiberufliche Übersetzer. Für März und April sind drei Großaufträge geplant. Es finden sich zwei Kolleginnen bereit, auszuhelfen. Ich arbeite in diesen 9 Tagen immer morgens von 6 bis 10 Uhr, fahre zu Karel, um ihn zu duschen und den Rest des Tages bei ihm zu sein. Eine Schwester reserviert immer die große Dusche für uns. Der einzige Moment, zu zweit allein zu sein. Um 20 Uhr fahre ich nach Hause und arbeite bis Mitternacht.


    Eine der beiden Kolleginnen erzählt von ihrer Mutter, sportlich, Nichtraucherin und bisher immer gesund; vor kurzem wurde metastasierter Lungenkrebs festgestellt. Ihrer Mutter, die in der Umgebung von Nimwegen wohnt, wird keine Behandlung mehr angeboten, sondern Euthanasie vorgeschlagen. Als es ihrer Mutter bald schlechter geht, bestimmt diese den Zeitpunkt ihres Todes und regelt sie ihre Beerdigung.)


    Während des Krankenhausaufenthalts wird bei einem Patienten in Karels Zimmer eine Krankenhausbakterie festgestellt. Ein junger Arzt erklärt die Situation und die weiteren Vorsorgemaßnahmen. Diesen jungen Arzt, Vad. heißt er, erfahren wir als kompetent und empathisch.


    Die Nierenwerte verbessern sich und am 24. März wird Karel aus dem Krankenhaus entlassen. Inzwischen wissen wir, dass der Verdacht auf Blasenkrebs zur Diagnose aggressiver muskelinvasiver Blasenkrebs geworden ist.

    Am Montag, den 26. März lässt der Stationsarzt Dr. Vad. uns anrufen und bitten, vor dem Termin bei Dr. Som. am 3. April Blut abnehmen zu lassen. Vielleicht erholen sich die Nieren ja schnell, das würde bei den folgenden Entscheidungen helfen. Gesagt, getan. In der Tat eine Verbesserung. MDRD liegt bereits bei 32.


    Am 3. April haben wir unseren ersten Termin bei Dr. Som., den wir bis dahin noch nicht kennen.


    Er erklärt uns kurz die Diagnose: muskelinvasiver Blasenkrebs und als Behandlung die Entfernung der Blase mit Anlage eines Urostomas; er erwähnt einige Risiken und teilt uns mit, dass die Operation aufgrund einer neuen Regelung seit Anfang 2018 in der Uniklinik, dem Radboudumc, durchgeführt wird, wobei er operieren wird.


    Wegen der eingeschränkten Nierenfunktion wird es nicht möglich sein, vor der Operation, wie sonst üblich, eine Chemotherapie durchzuführen. Karels Nierenwerte liegen derzeit etwas über 30, sollten aber wegen der Chemo um die 60 liegen. Normal wäre ja um die 90.

    Später finde ich heraus, dass die Nierenwerte im Oktober 2015, also vor der Prostatektomie, ebenfalls bei 60 lagen. Damals hieß es, dass diese Werte bei älteren Männern normal seien.


    Jetzt sollte das 90 sein?

    Die Nierenwerte erholen sich im Mai bis auf etwa 40 und bleiben danach ziemlich konstant oder steigen für kurze Zeit sogar noch einige Male an.

    Als Nächstes soll also ein CT-Scan folgen. Dazu muss erst wieder Blut abgenommen werden, was am selben Tag des Arzttermins bei Dr. Som. geschieht.

    Am nächsten Tag, 4. April, hören wir, dass die Nierenwerte gut genug für den CT-Scan sind.


    Wir warten also auf den Termin für den Scan. Als wir bis zum 11. April nichts hören, ruf ich im CWZ an. Eine freundliche Mitarbeiterin teilt mir mit, dass da ein Scan mit einem „sehr komischen“ Datum angefordert wurde. Sie bittet mich, die Radiologie-Abteilung selbst anzurufen. Dort höre ich wieder, dass ein Scan mit einem „sehr komischen“ Datum auf der Planung stünde. Ich bekomme eine Nummer, um selbst bei „Kontrast“ anzurufen. Dort wird mir ziemlich unwirsch erklärt, dass ich diese Nummer eigentlich nicht haben und auch nicht anrufen dürfte. Ich erkläre die Situation, und höre daraufhin, dass wir doch für den nächsten Tag, den 12. April, einen Termin hätten. Darüber sind wir nicht informiert worden. Allerdings bekommen wir in den darauffolgenden drei Wochen jede Woche genau diese Einladung zum CT zugeschickt ...


    Am 12. April wird klar, dass es sich um eine Art Aufnahmegespräch und nicht den erwarteten Scan handelt. Es müsse erst noch festgestellt werden, ob die Nierenwerte hoch genug seien. Das sind sie doch? Das wissen wir ja seit einer Woche. Unser Eindruck: Die interne Kommunikation scheint nicht gut zu verlaufen. Haben aber Verständnis dafür.


    Am 16. April findet endlich der CT-Scan statt.

    Bereits einige Tage später erfahren wir, dass auf dem CT-Scan keine Besonderheiten zu erkennen sind. Alles sieht gut aus. Wir sind sehr erleichtert und hoffen, dass die Operation jetzt bald stattfinden wird.

    In der Zwischenzeit versuche ich, weitere Informationen zum aggressiven Blasenkrebs im Internet zu finden, stelle aber bald fest, dass ich das genaue Staging des Krebses kennen muss. Daher rufe ich wieder das Krankenhaus an und bitte dort um diese Information. Die Urologie-Mitarbeiterin darf mir diese aber nicht mitteilen, Dr. Som. ist gerade beschäftigt, niemand sonst darf es mir sagen, ich muss bis zum nächsten Termin am 2. Mai warten. Ich bin empört, dass niemand bereit ist, mir diese wichtige Information zu geben.

    Jemand macht mich darauf aufmerksam, dass auch der Hausarzt diese Information hätte. Dort erhalte ich dann Antwort auf meine Frage.


    Weil ich nicht weiß, wann Nierenkatheter gewechselt werden müssen, frage ich in der Urologie nach: Die PCN wurden als Notfall angelegt, dabei würde aber kein Wechsel geplant werden. Keine weitere Erklärung. Ich sollte es beim nächsten Termin mit Dr. Som. besprechen. Meine Geduld wird langsam strapaziert.


    Am 2. Mai haben wir den 2. Termin mit Dr. Som.. Er sagt uns, dass der CT-Scan gut aussehe, er erwähnt erneut die Komplikationen, die während der Operation auftreten können, und dass die OP in 4 bis 5 Wochen stattfinden würde. Wieder wird Blut abgenommen, um die Nierenwerte zu testen.

    Ich frage noch einmal, warum die Anlage des linken Nierenkatheters beim ersten Mal nicht gelungen sei. Wieder hören wir, es habe einfach nicht geklappt. Keine Erklärung.

    Da wir uns auf die schwere Operation konzentrieren, lasse ich die Sache auf sich beruhen.

    Dr. Som. bittet uns, einen telefonischen Termin mit ihm für nächste Woche zu vereinbaren.


    Wir gehen davon aus, dann die Ergebnisse des Bluttests und den Operationstermin zu hören. In den darauffolgenden Tagen sind wir sehr nervös.

    Karel fällt das Sitzen immer schwerer. Ohne Kissen auf dem Stuhl kann er nicht mehr am Esstisch sitzen.

    Wir arbeiten, aber es fällt uns schwer, uns zu konzentrieren.


    Am 14. Mai gegen Mittag erwarten wir den Telefonanruf von Dr. Som..

    Als 2 Stunden später noch kein Anruf erfolgt ist, rufe ich im CWZ an. Dr. Som. ist nicht da. Die Mitarbeiterin wird einen Zettel auf seinen Schreibtisch legen, damit er weiß, dass wir angerufen haben.

    Auch am nächsten Tag nichts. Ich rufe wieder im CWZ an. Dr. Som. ist nicht da. Die Mitarbeiterin legt wieder eine Notiz auf seinen Schreibtisch ...


    Am 16. Mai ruft Dr. Som. nachmittags an, entschuldigt sich, war sehr beschäftigt und erwähnt nur die Blutresultate, über das Datum der Operation kann er nichts sagen.

    Diese idiotische Spannung. Die Blutergebnisse hätte auch die Mitarbeiterin mitteilen können.

    Wir ärgern uns über diesen Mangel an Sensibilität, oder ist es Gleichgültigkeit?


    Zwischen dem 3. April und dem 20. Juni sind wir mehrmals in der Urologie, weil Karel immer mehr Schmerzen beim Sitzen und manchmal auch beim Liegen hat, unabhängig von den 2 Nierenkathetern und dem Blasenkatheter, die sowieso unangenehm sind. Auch eine Stelle direkt unterhalb des rechten Nierenkatheters wird immer empfindlicher/schmerzhafter.


    Karel hat eine Ausbildung zum Sportmasseur absolviert und praktiziert seit über 50 Jahren Zen-Meditation. Er ist also in der Lage, Schmerzen in seinem Körper ziemlich genau zu lokalisieren und zu benennen. Aber er ist auch äußerst höflich und freundlich. Außerdem kann er viel aushalten und beklagt sich nicht.

    Der Schmerz in der Nähe des Anus wird immer unangenehmer. Irgendwann nimmt Karel täglich etwa 10 Tabletten Paracetamol (a 500 mg) ein.

    Auch das Schlafen wird immer schwieriger.


    Als der Wechsel der Nierenkatheter am 15. Mai stattfindet, spreche ich in der Zwischenzeit mit jemandem von der OP-Planung, um herauszufinden, wann die Operation endlich stattfinden wird. Aber ich bekomme keine Informationen, weder darüber, ob und wann die Operation in Radboud angefragt wurde, noch darüber, wie ich weitere Informationen erhalten könnte. Ich müsse einfach abwarten.


    In den folgenden Tagen erhalten wir einen Brief von der Uniklinik Radboud mit der Ankündigung, dass der zuvor vereinbarte Termin zum Erstgespräch abgesagt wird und nun schon am 30. Mai stattfindet. Welcher frühere Termin? Ich rufe an und höre, dass ein Brief an eine frühere Adresse von uns geschickt wurde, an der wir seit 2006 nicht mehr wohnen. Wie ist das möglich? Wir haben nie mit Radboud zu tun gehabt, und unsere aktuelle Adresse ist ja im CWZ bekannt. Keine Erklärung, nur die Mitteilung, dass die Adresse jetzt eben geändert würde.


    Während wir täglich auf den Operationstermin warten, wird ein Brief an eine alte Adresse geschickt?


    Und warum ein Erstgespräch? Es handelt es sich doch um eine Zusammenarbeit der beiden Krankenhäuser. Welche Informationen werden denn benötigt? Ich könnte alles sofort liefern. Das sage ich auch der Mitarbeiterin von der Urologie Radboud.

    Ich verstehe diesen Verlauf einfach nicht mehr.

    Am nächsten Tag rufe ich die Abteilung Operationsplanung vom Radboud an. Ich bekomme nur eine allgemeine Erklärung, dass für eine Operation immer ein Operationssaal reserviert und ein Team zusammengestellt werden müsse. Das kann halt eine Weile dauern.

    Ich verstehe die Welt nicht mehr.

    Niemand kann mir erklären, wann die Operation stattfinden wird!!!


    Am 30. Mai findet das Erstgespräch mit Dr. Sed. statt, gefolgt von einem Gespräch mit einem Anästhesisten. Für Karel wird das Sitzen immer schwieriger, wir warten 1,5 Stunden. Dr. Sed. sagt, er habe alle Informationen und wolle die Operation jetzt planen: am liebsten noch im Juni. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Möchte wissen, warum es so lange dauern muss.


    Keine Antwort. Dr. Sed. wird sich darum bemühen, die Operation zu regeln ...


    Ich fühl mich betrogen, belogen, verraten und weiß einfach nicht mehr weiter.


    Habe plötzlich das Gefühl, dass man nicht mehr helfen will!


    Ich rufe in den nächsten Tagen wieder die Operationsplanung von Radboud an. Eine andere Mitarbeiterin erzählt mir die gleiche Geschichte und dass für Som. und Witjes (Professor für onkologische Urologie am Radboudumc) ein gemeinsamer Termin gefunden werden müsse.

    Ich dachte, nur Som. würde operieren, jetzt muss für zwei sehr beschäftigte Urologen ein gemeinsamer Termin gefunden werden ...

    Ich frage, wann die Operation von CWZ aus angefragt wurde. Antwort: am 30. Mai!


    Was ist hier nur los?


    Ich bin verzweifelt, halte es nicht mehr aus und bettle um eine Operation, mir ist egal, wer operiert, wenn nur schnellstmöglich operiert wird.

  • Zweiter Teil

    Am 4. Juni sind wir wegen Karels zunehmender Schmerzen wieder im CWZ. Dieses Mal sprechen wir mit Dr. v.Bas.. Er erklärt uns das Verfahren bis zur Operation noch einmal. Sagt, dass man während der Operation auch feststellen könnte, dass die Operation abgebrochen werden müsste, weil sie nicht mehr nützt. Was ist hier los?

    Er schlägt einen sehr ernsten Ton an, verabschiedet sich von uns. Er bekommt einen Anruf und erklärt dem Anrufer, dass er nicht gestört werden möchte, weil er sich mitten in einem schwierigen Abschiedsgespräch befinde ...


    Wir verstehen das nicht. Wir wollen doch nur endlich einen Termin für die Operation, und das klingt, als würden wir uns nicht wiedersehen.

    Dr. v.Bas. sagt, er würde Dr. Sed. eine App schicken und um einen Operationstermin bitten. Wir freuen uns über diese Hilfe und hinterlassen unsere Visitenkarte. Wir hoffen, bald eine gute Nachricht zu erhalten.

    Aber in den folgenden Tagen hören wir wieder nichts.


    Am 15. Juni bekommen wir schließlich von der Uniklinik Radboud Bescheid, dass die Operation am 29. Juni stattfinden wird: Prof. Wit. wird operieren.


    In der Nacht vom 19. auf den 20. Juni hat Karel starke Schmerzen. Am Mittwochmorgen, dem 20. Juni, fahren wir wieder ins CWZ. Während wir auf einen Arzt warten, ruft uns Dr. Som. zu sich. Er sagt, er freue sich, dass wir nun endlich einen Termin für die Operation bekommen hätten. Jetzt würde sogar Professor Witjes selbst operieren und nicht er, weil er selbst ja erst im Juli Zeit gehabt hätte ...


    Ich bin fassungslos.


    Seit dem 15. März wissen wir, dass Karel einen aggressiven Blasenkrebs hat, Karel hat immer mehr Schmerzen und erzählt dies immer wieder einem anderen Urologen im CWZ, weil Dr. Som. keine Zeit für einen Termin hat. Und dieser Arzt sagt uns jetzt, nach 3,5 Monaten, dass er bis Juli keine Zeit für eine Operation gehabt hätte!


    Angesichts der von Karel beschriebenen Schmerzen schlägt Dr. Som. eine kurze rektale Untersuchung vor. Dies geschieht auf eine unangenehme und schmerzhafte Weise. Dr. Som. stellt fest, dass sich die Tumormasse deutlich anders anfühlt und möchte sofort ein MRI durchführen lassen. Karel erfasst den Ernst der Lage und sagt, es könnte also sein, dass wir jetzt zu spät sind. Dr. Som. bejaht dies.


    Die Angst und die Verzweiflung in diesem Augenblick sind unbeschreiblich.

    Dr. Som. regelt einen MRI-Termin und bittet uns, sofort danach wieder zu ihm zu kommen, um die Ergebnisse mit uns zu besprechen. Denn ab dem späten Nachmittag wäre er ein paar Tage nicht erreichbar.


    Nach dem Scan melden wir uns daher sofort wieder bei seiner Mitarbeiterin. Wir müssen lange warten. Als ich mich nach Dr. Som. erkundige und die Situation nochmals erkläre, werde ich um etwas mehr Geduld gebeten. Dann werden wir von einem anderen Arzt in einen Raum gerufen. Er erklärt uns, dass Dr. Som. nicht mehr anwesend sei, dass der Scan noch von einem Radiologen ausgewertet werden müsse und wir am nächsten Tag angerufen werden würden ...


    Diese Nacht ist die bisher schlimmste Nacht.

    Am nächsten Tag dauert es bis zum Nachmittag, bis der Anruf kommt. Ein Kollege von Dr. Som.:

    Der Blasenkrebs ist weiter fortgeschritten, Metastasen in Lymphen und Knochen. Die Operation ist abgesagt. Würde nicht mehr helfen. Bestrahlung wird vorgeschlagen, und falls gewünscht, kann Karel natürlich Unterstützung bei Sterbehilfe bekommen. Karel hat vielleicht noch ein paar Monate zu leben.


    Unsere Welt bricht zusammen.

    Im Vertrauen auf den Arzt gewartet – und jetzt zu spät.


    Später lesen wir im EPD, dass Dr. Som. am selben Tag den Scan mit Dr. Witjes besprochen hat und gemeinsam beschlossen wurde, die Operation abzusagen.

    Anscheinend hatte Dr. Som. nicht den Mut, uns dies selbst mitzuteilen.

    Wir haben kein Vertrauen mehr in diesen Mann.


    Am 22. Juni haben wir einen Termin bei unserem Hausarzt. Er möchte die Bilder vom CT-Scan sehen. Nachdem er sie sich angesehen hat, schlägt er vor, diese dem Urologen in Klever Krankenhaus zur Begutachtung vorzulegen. Er regelt für uns einen Termin am 25. Juni.


    In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni verliert Karel Blut aus dem Penis.


    Am Sonntagmorgen, dem 24. Juni, beschließen wir, ins Krankenhaus nach Kleve zu fahren.


    Dort versucht ein ungeschickter, schlecht Deutsch sprechender Arzt zweimal, einen zu großen Blasenkatheter zu legen, wie sich hinterher herausstellt. Karel hat starke Schmerzen und verliert viel Blut. Erst als der leitende Oberarzt dazukommt, gelingt es in nur 1 Minute.


    Die Blase muss gespült werden. Es scheint ein bekanntes Phänomen zu sein, dass ein Blasentumor Blutungen verursacht – ab einem weit fortgeschrittenen Stadium.


    Karel muss mindestens ein paar Tage bleiben.


    Der Chefarzt in Kleve will selbst einen CT-Scan machen lassen. In den nächsten Tagen ist der Wechsel der PCN im CWZ geplant und gibt es einen Termin mit Dr. Som..

    Kleve beschließt, den Wechsel der Nierenkatheter vorzunehmen.

    Was ein kurzer Routineeingriff sein sollte, dauert wieder sehr lange.

    Im Nachhinein sagt der Urologe, dass Karel viel Glück gehabt hat, denn bei der vorherigen Anlage des rechten Nierenkatheters wurde der Darm nur um 1 mm verfehlt. Er ist empört.

    Ich weiß, dass dies die Arbeit von Dr. Som. ist.Ich habe zunehmend den Eindruck, dass Dr. Som., aus welchen Gründen auch immer, nachlässig und inkorrekt gehandelt hat.


    Auch im Klever Krankenhaus findet eine rektale Untersuchung statt. Zuerst wird eine Rektalsalbe eingebracht, und während der Untersuchung, die sehr sorgfältig durchgeführt wird, wird Karel gebeten, es sofort zu sagen, wenn er Schmerzen hat. Es geht also auch ganz anders!


    Da Karel noch im Krankenhaus in Kleve liegt, nimmt unser jüngster Sohn mit seiner damaligen Freundin den Termin bei Dr. Som. wahr. Ich habe einen sehr genauen Bericht dieses Gesprächs.


    Dr. Som. sagt, dass es jetzt im Nachhinein sicher gut sei, dass Karel sich nicht mehr dieser schweren Operation unterzogen habe, da sie nichts mehr gebracht hätte. Weil der Krebs entgegen der Erwartung so unheimlich schnell gewachsen sei, hätte eine OP, auch wenn diese ein paar Wochen eher stattgefunden hätte, doch keinen kurativen Effekt mehr gehabt.


    Unser Sohn fragt Dr. Som., welche Behandlung sein Vater erwarten könne. Antwort: Chemo oder Bestrahlung. Und was passiert, wenn sich die geschwächten Nieren seines Vaters während der Behandlung verschlechtern? Wird er eine Dialyse bekommen? Dr. Som. sagt, dass dies angesichts der hohen Kosten nicht der Fall sei. Er sagt auch, dass er mit Karel die beiden Optionen (Bestrahlung und/oder Chemo) besprechen und in diesem Gespräch klären möchte, ob Karel sich noch eine Behandlung antun will, bei der er regelmäßig ins Krankenhaus müsste, die unangenehme Nebenwirkungen hätte und die doch nicht mehr helfen würde.

    Karel wird nach 5 Tagen aus dem Klever Krankenhaus entlassen. 1 Woche später, am 4. Juli, haben wir einen Termin bei der niederländischen Urologin im Klever Krankenhaus, bei Frau van der Graaf. Sie hört sich unsere Geschichte an, erzählt, dass sie im CWZ unter Dr. Som. gearbeitet hat. Sie weiß, dass man in den Niederlanden oft länger auf eine Operation warten muss als in Deutschland. Dies ist einer der Gründe, warum sie fast nie ein so fortgeschrittenes Stadium dieses Blasenkrebses zu sehen bekommt.


    Karel wird in der Tumorkonferenz besprochen. Es wird eine Chemo empfohlen, keine Bestrahlung. Man möchte sich die Option einer Blasenentfernung behalten.


    Am 10. Juli haben wir ein Gespräch mit Prof. R., der viel Verständnis zeigt und uns ein sehr positives Gefühl vermitteln kann.

    Er will mit einer Chemotherapie beginnen, und wenn diese nicht genug Effekt hätte, würde man zur Immuntherapie wechseln.

    Auf meine Frage, warum er Chemo geben will – schließlich hätte der Urologie im CWZ diese wegen der geschädigten Nieren nicht geben wollen – antwortete er, man könne ja eine genau auf Karels Nieren abgestimmte Chemo nehmen. Wir sind mehr als erstaunt.

    Prof. R. ist ein sehr klarer und optimistischer Mann, dem wir vertrauen. Endlich Verständnis und wieder eine Perspektive!

    Unser ältester Sohn hatte seine Hochzeit für den 7. September geplant.

    Da wir nicht wissen, wie die Chemo verlaufen wird und wie Karels Zustand bis dahin sein wird, beschließt er, die große Feier abzusagen und am 28. Juli nur in kleinem Kreis zu heiraten.


    Am 12. Juli beginnt der erste Teil der ersten Chemo.

    Karel verträgt sie erstaunlich gut.

    Der erste Teil der 3 Chemokuren findet immer stationär statt, der zweite Teil ambulant.


    Wir werden gebeten, sofort ins Krankenhaus zu kommen, wenn Karel über 38°C Fieber haben sollte.

    Zwei Tage vor der Hochzeit am 28. Juli abends bekommt Karel Fieber. Über 38°C. Wir packen die Tasche und fahren ins Krankenhaus. Der Arzt in der Notaufnahme fragt, ob Karel eine Patientenverfügung habe. Karel hat keine. Jetzt schildert der Arzt jede Sterbephase bis zum Tod, und will bei jeder Phase wissen, ob Karel dann immer noch geholfen werden will.


    Wohl Routine für den Arzt – sehr beängstigend für uns.

    Karel bekommt ein Antibiotikum. Im Laufe des nächsten Vormittags ist das Fieber verschwunden.

    Es geht ihm wieder besser. Noch ein Tag bis zur Hochzeit.

    Auf eigene Verantwortung dürfen wir das Krankenhaus am späten Samstagvormittag verlassen und können also zusammen die Hochzeit feiern. Gegen 22.00 Uhr müssten wir aber wieder zurück im Krankenhaus sein.


    Mit Antibiotikum und Schmerzmitteln in der Tasche nehmen wir also an der Hochzeit unseres ältesten Sohnes teil.

    Das Sitzen fällt Karel nicht leicht, aber er schafft es, den Tag gut zu überstehen. Auf keinem der Fotos ist ihm sein gesundheitlicher oder seelischer Zustand anzusehen. Mir leider schon.

    Karel hält sogar eine kurze Rede für unseren Sohn und unsere Schwiegertochter.

    Alles geht gut. Ein besonderer Tag.


    Um 21.30 Uhr verabschieden wir uns vom Brautpaar und fahren zurück ins Krankenhaus.

    Auch die nächsten beiden Chemokuren übersteht Karel recht gut.



    Mitte August, eine Woche vor der 3. Chemokur wird der Blasenkatheter entfernt, da Karel doch kaum Urin über die Blase verliert. Die Blase wird gespült und scheint gerade Mal 30 ml Inhalt zu haben.


    Ein paar Stunden danach verliert Karel Blut aus dem Penis. Zurück ins Krankenhaus. Es wird wieder ein Blasenkatheter eingeführt, aber das Blut oder Koagel läuft am Schlauch entlang. Wir hoffen, dass dieses Bluten von selbst aufhört, sind aber ständig am Wegwischen.


    Für die Nacht bekommt Karel einen großen Müllsack ans Bett gebunden und eine Küchenrolle – er wischt ständig das Blut ab. Irgendwann in der Nacht fällt er in Schlaf und wird in einer Blutlache wieder wach. Alles muss sauber gemacht werden. Im Laufe des nächsten Tages hört die Blutung auf. Nach noch einem Tag will Karel nach Hause. Die Urologin sagt mir auf dem Flur, dass jetzt schwierige Zeiten auf mich zukämen ...


    Am 13. September wird ein CT-Scan gemacht, um die Wirkung der Chemo zu beurteilen.

    Am nächsten Tag hören wir, dass der Blasentumor zwar etwas geschrumpft sei, aber die Metastasen in den Knochen, vor allem in der rechten Hüfte, gewachsen seien.

    Also keine Chemo mehr.

    Es wird noch eine Untersuchung durchgeführt, und dann vorgeschlagen, jetzt zur Immuntherapie überzugehen.

    Am nächsten Tag bekommt Karel also zum ersten Mal Nivolumab und er darf wieder nach Hause.


    Anfangs fühlt sich Karel gut, aber bald bekommt er Hustenanfälle und auch das Atmen fällt ihm zusehends schwerer. Wir gehen zum Hausarzt. Er weiß sich keinen Rat mit diesen Symptomen und weist Karel ins Krankenhaus ein.

    Die Lunge wird geröntgt und eine Bronchoskopie vorgenommen, von der er sich nur mit viel Mühe erholt. Ich habe Riesenangst um ihn. Er kämpft sich zurück.

    Verdacht auf Metastasen in der Lunge. Vielleicht eine Lungenembolie? Oder eine Lungenentzündung? Antibiotikum.



    Die Lungenärztin möchte einen CT-Scan mit Kontrastmittel. Karel nimmt schon einen Teil dieses Mittels vorher ein.

    Der Radiologe will aber nicht mit der Gabe des Kontrastmittels weitermachen wegen der schlechten Nierenwerte. Also kein CT-Scan wegen der Nieren, sondern nur ein MRI.

    Es kann nicht festgestellt werden, ob es Metastasen in der Lunge gibt.


    Karel geht es nach ein paar Tagen zum Glück wieder etwas besser und er kann entlassen werden.

    Doch der Husten wird immer schlimmer. Karel bekommt kaum noch Luft. Wieder zum Hausarzt. Er rät zu einer Sauerstofftherapie, aber er bittet uns auch, uns um die letzten Dinge zu kümmern ...


    Karel kann nicht mehr ruhig liegen, ständig wird er von erstickenden Hustenanfällen geplagt, er kann nicht mehr schlafen, kaum noch essen.

    Der Hausarzt schreibt verschiedene Schmerzmittel und Schlafmittel vor. Die Schlafmittel bewirken das Gegenteil. Eine beängstigende Erfahrung.

    Karel hat keine Kraft mehr. Ohne meine Hilfe kann er keinen Schritt mehr allein gehen.

    Treppensteigen unmöglich. Wir funktionieren die Couch zum Bett um.

    Wir sind am Ende. Ständige Hustenanfälle. Kein Schlaf mehr, keine Aussicht mehr auf Besserung. Drei Nächte und drei Tage ohne Schlaf rauben uns beiden die letzte Kraft.


    Wir wissen nicht mehr ein und aus. Uns geht die Energie aus.

    In all der Zeit arbeite ich weiter, so recht und schlecht das geht. Das Kreuz der Selbstständigkeit.

    Zum Glück zeigen die Stammkunden viel Verständnis für uns.

    In der Zwischenzeit hat unser Jüngster, der in Italien promoviert, beschlossen, das Studium abzubrechen und zu uns zurückzukommen, um uns zu helfen und in der letzten Phase bei seinem Vater zu sein.



    Anfang Oktober die 2. Immuntherapie.

    Karel bekommt zusätzliche Medikamente (xgeva und ossofortin) und plötzlich gibt es einen klaren Wendepunkt.

    Karel geht es von Tag zu Tag besser. Die Hustenanfälle und die Kurzatmigkeit verschwinden. Der zusätzliche Sauerstoff hilft. Tag und Nacht angeschlossen an das Sauerstoffgerät.

    Mit einem Schlauch, der 10 m Bewegungsfreiheit bietet.

    Aber täglich gibt es kleine Verbesserungen.


    Am 31. Oktober holt unser ältester Sohn unseren jüngsten Sohn in Genua ab. 12 Stunden hin. Halbe Stunde Pause. 12 Stunden zurück.

    Unser Jüngster wird ein ganzes Jahr bei uns bleiben, seinen Vater zur zweiwöchentlichen Therapie begleiten, das Einkaufen und Kochen übernehmen, – und durch seine Anwesenheit wesentlich dazu beitragen, dass es Karel immer besser geht.

    Unser Ältester kommt regelmäßig vorbei. Auch seine Anwesenheit hilft enorm und ist eine große Stütze.


    Seit Ende September 2018 geht es alle 2 Wochen nach Goch zur Immuntherapie. Alle 6 Wochen findet ein Wechsel der Nierenkatheter und des Blasenkatheters statt.

    Anfangs bekommt Karel zum Katheter Wechsel immer eine 5-tägige Ciproflaxacin-Kur, um einer HWI vorzubeugen.

    Trotzdem färben sich rund Weihnachten 2018 die Urinbeutel wieder lila: also Bakterien im Urin.

    Karel scheint sich eine Krankenhausbakterie eingefangen zu haben. Dieses Mal gelingt es erst nach dem dritten Antibiotikum, dem Hausarzt zufolge einzigen, das er noch kennt, um diese Bakterien zu bekämpfen.


    Insgesamt hat Karel innerhalb eines Jahres 4 oder 5 HWI, ist immer völlig beschwerdefrei und hat kein Fieber.

    Karels Zustand verbessert sich ständig. Zwar langsam, aber stetig. Karel kommt sogar einige Stunden ohne das Sauerstoffgerät aus.


    Zu seinem Geburtstag am 10. November haben die Jungs eine Überraschung geplant.

    Einen Tag am Meer. Dort wo wir mit den Jungs, als sie noch klein waren, immer im Sommerurlaub waren.

    Ein Wohnmobil wird gemietet und am Geburtstagsmorgen fahren wir los.

    In Cadzand-Bad angekommen will Karel die Treppe zum Deich ohne Sauerstoffgerät besteigen. Es gelingt ihm. Auch der kleine Spaziergang am Strand danach geht ohne das Gerät. Ich kanns nicht fassen, zücke den Pulsometer – Sauerstoffsättigung 96 %!


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    Zu Beginn des Jahres 2019 wird beschlossen, den Blasenkatheter zu entfernen.

    1 Unannehmlichkeit weniger. Dieses Mal klappt es problemlos. Und was noch viel wichtiger ist: Die Blase funktioniert wieder!

    Beim Scan im Juni 2018 war die Blase als solche nicht mehr zu erkennen, sagt die Urologin.

    Auch für sie ist das mehr als erstaunlich.


    Seit Mitte Dezember 2018 braucht Karel keine Schmerzmittel mehr, seit Anfang 2019 keinen zusätzlichen Sauerstoff mehr.

    Er schläft wieder besser, hat mehr Kraft und Ausdauer, arbeitet wieder mit.


    Mitte Februar 2019 habe ich typische Grippesymptome: innerhalb von wenigen Stunden matt, Husten, Gliederschmerzen, Fieber. Nach 2 Tagen fühle ich mich wieder besser. Als ich aber nach einem Toilettenbesuch ohnmächtig werde und auf den Steinboden aufschlage, bringen mich Karel und Elef ins Krankenhaus. Nasenbruch und Influenza. Unser Hausarzt will daraufhin Karel unbedingt testen: Ja, Karel hat die Influenza, aber keinerlei Symptome und Beschwerden.

    Das Immunsystem läuft wohl auf Hochtouren.


    Im Frühjahr 2019 machen wir wieder kleine Spaziergänge, die allerdings immer vom jeweiligen Tageszustand abhängig sind. Karel ist mal mehr, mal weniger müde. Im Sommer machen wir sogar kleine Fahrradtouren.

    Manchmal überfällt Karel diese schwere Müdigkeit, ganz unangekündigt, dann legt er sich hin. Das eine Mal dauert die Ruhephase nur kurz, das andere Mal länger.


    Aber auch damit ist zu leben.


    Am 1. November 2019 tritt unser Jüngster seine neue PhD-Stelle an, dieses Mal in Gießen.

    Ein intensives Jahr für uns alle.


    Alles in allem haben wir das Gefühl, ein Wunder zu erleben.

    Kehrtwende: von kurativ zu palliativ und jetzt wieder zurück zu kurativ? Wir werden es versuchen!


    Anfang 2020 wird der rechte Nierenkatheter entfernt. Ein weiterer wichtiger Schritt!


    Im Mai 2020 bekommt Karel links einen Nierenkatheter mit Ventilfunktion.

    Wieder ein wichtiger Schritt!

    Wir hoffen, dass sich der vermutlich sehr enge Harnleiter durch etwas mehr Druck ein wenig weitet.

    Nachts wird dieser Katheter an einen Urinbeutel angeschlossen.

    Es läuft gut! In jeder Hinsicht.


    Nach einem CT-Scan am 4. Juni 2020 sehen sich die Urologin und der Onkologe die Bilder an.

    Die Blase als solche ist wieder deutlich zu erkennen.

    Wunder ist kein medizinischer Begriff.

    Aber wir erleben, dass Ärzte den unbändigen Lebenswillen Karels mit allem, was sie aufbieten können, unterstützt haben und weiterhin unterstützen.


    Das Leben ist so kostbar.


    Karel und Elisabeth


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