Juli 2007
Vorgeschichte
Im Februar 2001 wurde bei mir das Blasenkarzinom (BK) erstmals diagnostitziert. Es erfolgte die erste TUR-B, bei der ein 2 cm großer,
papillärer Tumor pT1 G1 entfernt wurde.
Nach 3 Monaten Zystoskopie (Zys) o.B und 3 Monate später Zys positiv. Wieder TUR-B, mit dem Befund pTaG1, diesmal multifokal, d.h. es wurden 7
Stellen reseziert.
Nun war die BCG-Therapie angesagt, die ich zunächst auch vertrug. Allerdings wurden die Bescherden zum Ende der Initialisierungsphase hin
(6 Instillationen im wöchentlichen Abstand) immer heftiger und nach der 6. Instillation war das Maß des Erträglichen erreicht. Das Brennen in
der Blase suggerierte dauernd Harndrang und die Befriedigung desselben in Schnapsglasquantitäten war schmerzhaft und ließ kaum Schlaf zu. Unter
letzterem fing dann auch die Familie an zu leiden. Vorrübergehende Entspannung brachte der Übergang zur monatlichen Instillation, die bis
zur Vollendung eines Jahres durchgeführt wurde. Auch hier stiegen die Beschwerden zum Ende hin wieder an und erreichten das schon zuvor
beschriebene Maß, und ich hätte diese Therapie, wäre sie nicht ohnehin zu Ende gewesen, abbrechen müssen. Das war September 2002. Mit Beginn
der Therapie bin ich glücklicherweise in den Ruhestand getreten, an eine geregelte Berufstätigkeit wäre nicht zu denken gewesen. Bei der
nächstfälligen Zys im Oktober 2002 wurden bereits wieder Auffälligkeiten festgestellt und es kam sogar der Verdacht auf ein Prostatakarzinom
auf. Die daraufhin durchgeführte TUR-B erbrachte zum Glück nur eine chronische Urozystitis (Blasenentzündung) und granulomatöse Urethritis
(Entzündung der Harnröhre) infolge BCG.
Bis zum Mai 2003 hatte ich Ruhe, doch dann schlug der Krebs wieder zu. TUR-B, pTaG2.
Er gab dann aber Ruhe bis Mai 2004, um dann mit dem Befund CIS! zuzuschlagen.
Damit war das Thema Zystektomie nicht mehr zu umgehen. Nach Vorlage aller Untersuchungsunterlagen (Szintigramm, CT, Histologien der
zurückliegenden TUR-B's) an der Uniklinik Ulm erhielt ich aber zu meiner Erleichterung den Rat, es doch noch einmal mit einer BCG-Therapie zu
versuchen. Nachdem wir diese Empfehlung durch weiteren Expertenrat abgesichert hatten, begann im August 2004 eine neue BCG-Runde. Diese
dauerte aber nur vier Anwendungen und musste wegen schwarzem Harn abgebrochen werden. Damit stand BCG nicht mehr zur Diskussion.
Nachdem sich mein Abwassersystem in einem langwierigen Prozess wieder einigermaßen beruhigt hatte, setzte ich im Juni 2005 meine Hoffnung auf
das wegen seiner guten Verträglichkeit gepriesene Mitomycin 40. Doch auch dieses musste nach der Initialiserungsphase abgesetzt werden. Ich
konnte das Instillat nicht die geforderten 1,5 bis 2 Stunden in der Blase belassen, obwohl ich alle nur denkbaren Tricks angewandt habe. Die
letzte Blasenfüllung (die 4. in der Initialisierungsphase!) ging direkt nach der Heimfahrt von der Instillation direkt in die Toilette, hielt
also gerade mal 30 Minuten. Das war also das Ende der Standard-Chemotherapien.
Ich möchte an dieser Stelle ganz klar betonen, dass diese Schilderung, wie auch die folgenden, meine ganz persönliche Erfahrung darstellen und
keineswegs für andere zutreffen müssen. Beispielsweise hat ein Freund von uns am Vorabend seines Südafrikaurlaubs ohne jegliche Vorwarnung
schwarz gepinkelt und erhielt tags darauf die Diagnose BK. Die Sache nahm den üblichen Verlauf und er erhielt auch eine MMC-Therapie, die er
bis heute (2 Jahre) gut verträgt. (Er ist zudem schwer zuckerkrank.) Ich wünsche allen Betroffenen, dass sie von einer erfolgreichen Therapie
möglichst bald auf die lichte Seite der Statistik gehievt werden und nicht meinen Weg gehen müssen
Ich hatte wieder Ruhe bis Juli 2006. Dann TUR-B -> pTaG2. Das war der Beginn eines Leidensweges, von dem ich hoffe, dass er nun beendet
ist. Nach der TUR hatte ich dauerhaftes Brennen in der Harnröhre, das mit Hilfe von Antibiotika nur langsam abklang und nach jeder Zys wieder
voll zuschlug. Das ganze war im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass ich andauernd pinkeln musste. Einkaufsfahrten und ähnliches waren
in erster Linie eine Frage des Pinkelmanagmentes. In Athen kenne ich JEDE Möglichkeit, mich legal oder illegal zu erleichtern. Nachtruhe mit
dauernden Unterbrechungen war auch keine mehr, die Reizbarkeitsschwelle sank bedenklich ab und meine seelische Verfassung lag irgendwo zwischen
Resignation, Apathie und Warten auf ein Wunder. Nur meine Fähigkeit, unangenehmen Sachverhalten auszuweichen, ermöglichte es mir, das Leben
noch etwas zu genießen. Als dann im März die nächste Zys fällig war, setzte Rosemarie ihre Forderung nach einer Fluoreszenzlicht- anstatt
der üblichen Weißlicht-Zystoskopie durch.
Und dann ging alles sehr schnell. TUR-B mit positiver Histologie, Nachresektion drei Wochen später ebenfalls unter Fluoreszenslicht mit
gleichfalls positiver Histologie. In dem darauffolgenden Gespräch mit Prof.Kuzcyk fiel dann die Entscheidung zur Zystektomie, welche dann am
14.Mai vorgenommen wurde. Kurzentschlossen habe ich noch, um das Ganze möglichst rasch hinter mich zu bringen, meinen lange geplanten
Amerikaurlaub geopfert, den ich am 26. Mai antreten wollte.
Das war die Vorgeschichte und an dieser Stelle ist ein wichtiges Fazit zu ziehen. Eine Zystektomie lag für mich immer außerhalb jeden Denkens.
Ich überging die dezenten Hinweise auf die Notwendigkeit derselben von Rosemarie sowie die schon deutlicheren der Urologen in der Hoffnung, das
Thema mit gelegentlichen TURB-B's unter Kontrolle zu halten. Was ich nicht realisiert habe, war die Tatsache, dass der Tumor, nachdem keine
der Therapien gegriffen hatte, sich mal hier, mal da angesiedelt hatte, auch die Harnleiter hinauf oder auch in die Harnröhre abwandern könnte.
Und genau letzteres war er im Begriff zu tun. Das bedeutet, dass bei entsprechendem Fortschritt nur noch die Möglichkeit eines Ileum-Conduits
bzw eines Pouchs verblieben wäre. Ich bin wohl noch auf den letzten, bereits abfahrenden Zug aufgesprungen und konnte den Operateuren die
Möglichkeit geben, mir den natürlichen Harnweg zu erhalten. Wie ich später erfuhr, ist die Entscheidung dafür wegen der fortgeschrittenen
Ausbreitung nicht einfach gewesen. Mir bricht heute noch des Schweiß aus, wenn ich mich daran erinnere und empfinde den Operateuren gegenüber
eine tiefe Dankbarkeit.
Die Operation dauerte 8,5 Stunden. An die Möglichkeiten, dass der Tumor in die Harnleiter hinaufgewandert wäre oder eine höhere Agressivität
entwickelt hätte, mag ich nicht mehr denken.
Die Operation
Am 14. Mai sollte dann die Operation an der Uni-Klinik Tübingen erfolgen. Ich bin also am 13. eingerückt mit der Maßgabe, ab 10 Uhr
nichts mehr zu essen und ab 20 Uhr nichs mehr zu trinken. Zwischendurch bekam ich noch ein Zäpfchen zwecks Abführung. Das war die ganze
Vorbereitung für die Op. Wenn ich da so die Schilderungen der anderen Aspiranten lese.... Am nächsten Morgen kamen die Dottores, malten mir
mystische Muster auf den Bauch, verabreichten mir die Sch...egal-Pille und ab ging es in den Operationssaal. Dort wurde mir auf dem Handrücken
ein Zugang gelegt und 10 Sekunden später wurde es nacht. Die Fortsetzung setzte ein im Wachraum, wo ich von dem Pfleger angesprochen wurde.
Nachdem ich mühsam die Orientierung gefunden hatte, stellte ich ihm die mich sehr bewegende Frage nach dem gewählten Ausgang und hörte mit
unendlicher Erleichterung, dass es eine Neoblase mit natürlichem Ausgang war. Später kam Rosemarie und ich konnte ihr das erfreuliche Ergebnis
mitteilen. Was weiter geschah, habe ich in nur nebelhafter Erinnerung. Es kam später noch der Operateur, Prof. Kuzcyk vorbei und informierte
Rosemarie über den ansonsten komplikationslosen Verlauf der Operation bis auf Schwierigkeiten, die die Entzündungen im Harnleiterbereich
bereiteten. Ich hatte im ersten Teil meines Berichtes die ständigen Entzündungen in Harnröhre und Blase während der letzten Monate erwähnt.
Schon am nächsten Tag ging es los mit der Mobilisierung. Die erste Übung war senkrecht stehen und wurde in den folgenden Tagen um einzelne
Schritte erweitert. Es klappte ganz gut. Der Radius wurde aber durch die acht oder neun Schläuche, die mich mit dem Krankenbett verbanden,
erheblich eingegrenzt. Wäre nichts für Manny gewesen, es hätte ja nicht einmal für den ersten Kilometer gereicht. Ansonsten erinnere ich mich
nur noch an das ausgezeichnete Pflegepersonal und den pünktlich einsetzenden Mitternachtsspuk. Auf der Wachstation lagen auch ein alter
Mann und eine alte Frau. Regelmäßig zur Geisterstunde fingen die beiden an zu randalieren. Sie wollten unbedingt nach Hause. Sie krakeelten und
zeigten sich keinem guten Zureden zugänglich. Tagsüber krakeelte die Frau, weil sie nicht nach Haus wollte. Die unglaubliche Geduld der Pfleger war
bewundernswürdig und überstieg die meine um ein vielfaches. Die Gedanken, die ich den beiden demzufolge rübersandte, waren alles andere als christlich.
Am Donnerstag wurde ich auf die Station verlegt. Bald wurden auch die ersten Schläuche entfernt. Die Schmerzbehandlung wurde schrittweise
zurückgenommen und als das letzte Dosiergerät von dreien abgenommen wurde, konnte auch der zentrale Venenkatheter entfernt werden. Dieser
Katheter war von eindruckvoller Länge. Ich erfuhr später, dass er bis an den Vorhof des Herzens reicht
An dieser Stelle einige Bemerkungen zum Thema Schmerz. Ich las in verschiedenen Darstellungen, dass Schmerzen nach der Operation durchaus
ein Thema war. Das darf nicht sein und muß auch nicht sein. Bei einer guten Schmerzversorgung hat ein Patient im Normalfall postoperativ keine
Schmerzen zu erleiden. Ich habe es erlebt! Leider ist es so, dass Deutschland hinsichtlich der Schmerzversorgung noch als Entwicklungsland
gilt! Dies wurde sehr deutlich am 26.7.2007 in 3SAT in dem Magazin delta festgestellt (Prof.Dr.W.Zieglgänsberger, MPI München). Bei der
Schmerzbehandlung kommen auch Opioide zur Anwendung. Hier herrscht allgemein die diffuse Angst, dass man dann zwangsläufig abhängig werde.
Dies ist nicht der Fall, wenn diese Präparate nur zu diesem Zweck verwendet werden. Dies können genügend Patienten bestätigen, so auch
ich. Mit anderen Worten: werden im Rahmen einer Schmerzbehandlung Opioide angewendet, besteht absolut keine daraus resultierende
Suchtgefahr! Und noch etwas ist wichtig zu wissen: jeder Mensch hat ein Recht auf Schmerzfreiheit und dieses Recht ist einklagbar! Dies ist
eine Information, die nicht aus dubiosen Quellen stammt, sondern ist eine Aussage meiner Schwester. Sie war Chefanästhesistin an einem
größeren Krankenhaus in einer mittleren Stadt in NRW und ist seit zwei Jahren im Ruhestand. Und aus gleicher Quelle noch ein ganz wichtiger
Aspekt: wenn diese Schmerzen nicht sofort behandelt werden, besteht die große Gefahr, dass sie sich chronifizieren, d.h. sie werden zum
ständigen Begleiter und eröffnen somit einen neuen Leidensweg. Es ist im Grunde wichtig, bei den der Operation vorausgehenden Gesprächen auch
das Thema postoperative Schmerzversorgung gleichrangig mitzubehandeln.
Die Medikamentengaben wurden nach ca. fünf Tagen sukzessive reduziert und nachdem die intravenöse Gabe abgeschlossen war, ist gleichzeitig auf
feste Analgetika und Antibiotika umgestellt worden
Nun hing ich nur noch an 5 Schläuchen. Solchermaßen dekoriert, durfte ich am Samstag meinen 67. Geburtstag begehen. Am nächsten Tag wurden die
zwei Schläuche der Operationsnarbe gezogen und dann kam Schwester Louisa und meinte, es sei an der Zeit, mich vollends auf feste Kost
umzustellen. Zuvor jedoch müsse meine Verdauung in Gang gebracht werden. Nachdem die sanfteren Mittelchen nichts ausrichteten, bot sie mir ihre
Erfindung, Louisa's Spezialcocktail an. Nichs ahnend nickte ich ab und dann, Freunde, ich sage Euch, das Zeug als Geheimwaffe eingesetzt, kann
kriegsentscheidend sein. Fünfmal musste mein Bett neu bezogen werden. Da ich keine Chance hatte, der Toilette mehr als 2 Schritte
näherzukommen, blieb ich also im Bett. Und die Schwestern? Währenddessen betreuten mich ihrer zwei und die freuten sich, dass alles so “gut“
klappte. Auch beim fünftenmal waren sie immer noch freundlich. Ich konnte es nicht fassen. Aber dann war es vorbei und ich hatte fortan
eine mustergültige Verdauung.
In den nächsten Tagen wurden die beiden Schläuche, die die Nieren direkt ableiteten, gezogen und damit die neue Blase „in Betrieb“ genommen. So
war ich nur noch mit dem Katheter belastet. Es klappte auch alles gut. Die Blase hatte nun Zeit bis zum Mittwoch, den 30. Mai, sich einzugewöhnen.
Zwischenzeitlich hatte sich eine Physiotherapeutin vorgestellt, die mit mir Atemübungen und die erste Beckenbodengymnastik machte. Auch der
Sozialdienst der Klinik kam und besprach mit mir die Folgemaßnahmen. Durch das Forum gut informiert, hatte ich klare Vorstellungen, die ich
dann nannte und bekam zwei Tage später die Nachricht, dass alles meinen Wünschen entsprechend eingerichtet sei.
Am 30. Mai nun erfolgte die Dichtigkeitsprüfung und nachdem auch diese mit gutem Egebnis ausging, wurde ich noch vom Katheter befreit und war
wieder ein freier Mann. Schließlich gelang es mir noch, mit Hilfe einer nicht zu widerlegenden Begründung, die für den nächsten Tag vorgesehene
Entlassung für den heutigen Tag vorzuziehen. Ich rief sofort Rosemarie an, die alles fallen ließ und sofort die 65km nach Tübingen zwischen die
Räder nahm.
Mir blieb noch genügend Zeit, mich von den Schwestern und Pflegern zu verabschieden.
Wer Antennen dafür hat, dem entgeht nicht, wie angespannt die Personalsituation im Pflegebereich ist. So kann man es garnicht hoch
genug bewerten, dass man davon als Patient nichts zu spüren bekam. Sie waren immer da und gleibleibend freundlich. Ich werde sie alle in bester
Erinnerung behalten.
Noch etwas wackelig auf den Beinen verließ ich dann die Uni-Klinik Tübinen mit dem Gefühl tiefer Dankbarkeit gegnüber den Ärzten,
Schwestern und Pflegern.