Liebe Mitglieder dieses Forums,
für diejenigen, die ein wenig intensiver in das ICD-10 System einsteigen wollen, zitiere ich aus einer sehr informativen E-Mail von Herrn Dr. Kraywinkel. Herr Dr. Kraywinkel ist Fachgebietsleiter am Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts. Ich habe seine ausdrücklich Erlaubnis erhalten, seine E-Mail zu zitieren.
Hintergrund meiner Anfrage war, dass auf
https://www.krebsdaten.de/Kreb…harnblasenkrebs_node.html
folgendes steht:
"Insbesondere für schlecht differenzierte Ta-Tumoren und Tis besteht ein erhöhtes Risiko für das Fortschreiten des Tumorwachstums (Progression) und Wiederauftreten der Erkrankung (Rezidiv), was sich auch in den Überlebensraten widerspiegelt. Daher besitzen sie besondere klinische Relevanz, obwohl sie nach ICD-10 derzeit nicht zu den bösartigen Tumoren gezählt werden."
Ich hatte letztes Jahr in ähnlicher Sache mit JoergA einen kleinen Gedankenaustausch und bin nun verwundert über diese Aussage des RKI gestolpert. Ich habe daher beim RKI nachgefragt, ob man diese Aussage auf der Internetseite nicht korrigieren könne. Ich könne mir auch gar nicht vorstellen, dass ein CIS (=Tis) oder ein z.B. TaG3 nach ICD-10 nicht zu bösartigen Tumoren zählen soll. Daraufhin erhielt ich folgende Antwort:
"Sehr geehrter Herr ...,
für die in-situ Karzinome der Harnblase (und aller anderen Organe) gilt nach ICD-10 eindeutig der Code D09.0, siehe
https://www.dimdi.de/static/de…lgm2022/block-d00-d09.htm
Die nicht-invasiven papillären Karzinome der Harnblase (also die "Ta") werden in der ICD-10 nicht ausdrücklich erwähnt.
Allerdings werden sie in der speziellen onkologischen Klassifikation, der ICD-O-3, bzgl. der Morphologie genau wie die in-situ Tumoren mit der Endung "/2" kodiert:
https://www.dimdi.de/dynamic/d…ev2html/block-812-813.htm
Also 8130/2 für "Nichtinvasives papilläres Urothelkarzinom" und 8120/3 für "Urothel-Carcinoma in situ" oder "Übergangszell-Carcinoma in situ"
Die C67 in Klammern steht übrigens nicht für den entsprechenden ICD-10 Kode, sondern den (oft gleichlautenden) Lokalisationskode innerhalb der zweiachsigen ICD-O-3 (jeder Tumor erhält dort einen Lokalisations- und einen Morphologiekode).
Die Endung "/2" steht eben für "in-situ Tumoren" (im Gegensatz zu "/3" für bösartige Tumoren).
Daher werden in den Krebsregistern auch das nichtinvasive papilläre Urothelkarzinom mit D09.0 kodiert. Soweit mir bekannt ist, wird dies auch international so gehandhabt, siehe z.B.:
https://ww2.health.wa.gov.au/~…ing-rules/WACR-101302.pdf.
Uns ist bewusst, dass diese Zuordnung aus klinischer Sicht nicht ganz befriedigend ist, vor allem die von Ihnen angesprochenen high-grade (G3) Ta - Tumoren und die selteneren in-situ Karzinome der Harnblase haben sicherlich eine ungünstigere Prognose als manche Diagnosen mit einer "C-Diagnose", z.B. das papilläre Schilddrüsen-Ca. oder las low- grade Prostata-Ca. Entsprechend intensiv ist natürlich auch die Therapie und damit auch die physische und psychische Belastung der Patienten.
Vergleichbares gilt aber auch für andere Diagnosen, die nicht im engeren Sinne zu den bösartigen Neubildungen (nach ICD-10: C00-C97) gezählt werden, wie z.B. gutartige Hirntumore (D32-D33) , Hirntumore unsicheren Verhaltens (D42-D42) , bestimmte Neubildungen des blutbildenden bzw. lymphatischen Systems (D45-D47) oder das Duktale in-situ Ca. der Brust (D05). In jedem Fall ist das Grading für viele Tumoren prognostisch sehr bedeutend, führt aber eben nicht zu einer anderen Einordnung in die ICD-10, obwohl man das aus klinischer Sicht sicher vertreten könnte.
Der Umgang mit den "Ta" Tumoren in der Krebsberichterstattung ist international leider uneinheitlich, teilweise werden sie völlig ignoriert, teilweise dann doch zu den bösartigen Tumoren gezählt, was wohl auch historische Gründe hat: in früheren Versionen der ICD-D galten meines Wissens nach diesbezüglich noch andere Kodierregeln.
Wir haben uns für einen "Mittelweg" erschienen: Im Bericht nennen wir die entsprechenden Fallzahlen und Inzidenzraten (im Gegensatz zu den in-situ Tumoren bei anderen Organen), bei "Krebs gesamt" zählen wir sie jedoch nicht mit. In wissenschaftlichen Publikation berücksichtigen wir sie ebenfalls, ich habe Ihnen eine Veröffentlichung im "Urologen" angehängt.
Wenn wir ab nächstem Jahr im Zuge der Erweiterung unserer Datenbasis (die dann auch Daten zur Therapie und zum Krankheitsverlauf enthalten wird) unsere Berichterstattung ausbauen, wird sich hoffentlich auch eine Gelegenheit finden, die nicht-invasiven Harnblasenkarzinome (und auch diejenigen der ableitenden Harnwege) noch besser zu berücksichtigen.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen einigermaßen zufriedenstellend beantworten und ein wenig zur "Entwirrung" beitragen, und bedanke mich für Ihr Interesse an unserer Berichterstattung.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Kraywinkel
Dr. med. Klaus Kraywinkel
Fachgebietsleiter
Zentrum für Krebsregisterdaten
Robert Koch-Institut
General-Pape-Straße 62-66
12101 Berlin"
Beigefügt war noch ein sehr interessanter Artikel als pdf, den ich so leider nicht anhängen kann/darf. Allerdings ist dieser Artikel auch frei verfügbar unter:
Zusammengefasst kann man m.E. festhalten, dass die ICD-10 generell die Besonderheiten der einzelnen Fachgebiete nicht berücksichtigt und aufgrund der einheitlichen Systematik wohl auch nicht berücksichtigen kann. Evtl. tut sich aber künftig doch etwas, um eine Annäherung an die Urologische Klinik/Pathologie zu erreichen. Denn klar ist, dass ICD hin oder her, ein CIS oder ein TaG3 natürlich bösartige Tumore sind. Das geht auch schon bei einem TaG1 los. Als gerade noch gutartig wurde in der urologischen Pathologie die Kategorie PUNLMP eingeführt. Dem RKI ist all das natürlich bekannt, weshalb es einen gewissen "Mittelweg" geht.
Schöne Grüße
JoFo76