Zystektomie bei 87 jährigem

  • Hallo liebe Forengemeinde,


    bei meinem Vater (87 Jahre) wurde Mitte November letzten Jahres nach Blut im Urin die erste TURB durchgeführt und nach erneuter Blutung ca. 4 Wochen später erfolgte die 2. TURB. Seitdem geht es ihm wieder prächtig.


    Histologisch ergab sich ein muskelinfiltrierender Tumor mindestens T2a,G3, laut CT gibt es keinerlei Metastasen, Nachbarstrukturen sind nicht betroffen.


    Mein Vater hat null Beschwerden, arbeitet täglich in seiner Firma und geht den gewohnten Beschäftigungen nach. Sein Allgemeinzustand ist als sehr gut zu bezeichnen, ohne Bluthochdruck, Diabetes oder sonstige in diesem Alter häufig vorkommende Gebrechen.


    Der behandelnder Urologe vor Ort hat ihm zur Entfernung der Blase geraten, ebenso ein Oberarzt eines anderen Zentrums, das sich täglich mit diesen Fällen beschäftigt und auch Zystektomien durchführt.


    Nun habe ich mir heute eine weitere Meinung eines sehr bekannten Professors eingeholt, der wohl mit die renommierteste Stellung hier in Deutschland innehat. Er hat ganz klar von einer Entfernung abgeraten mit der Begründung, die OP sei einfach zu schwer für einen Menschen dieses Alters und seinem Vater würde er es keinesfalls antun.

    Stattdessen empfiehlt er die alleinige Bestrahlung ohne Chemo, auch diese sei kurativ, vergleichbar mit einer Zystektomie. Meinen Hinweis auf den bestehenden, ungewöhnlich guten Allgemeinzustand lies ihn den Fall nicht anders bewerten.


    Mein Vater ist nun sehr erschrocken, hatte wir doch alle gehofft, dass bei fehlenden Metastasen die OP machbar und sinnvoll sein sollte, um eine vollständige Heilung in Aussicht zu haben.


    Natürlich haben wir überhaupt keine Vorstellung davon, wie hart so eine OP ist und wie gut er es letztlich wegstecken wird. Aber immerherin war er seine ganzes Leben noch nie im Krankenhaus und braucht trotz ärztlicher Kontrollen bis heute keine rezeptpflichtigen Medikamente, da sonst alles in Butter bei ihm ist.


    Ich befürchte, dass die Bestrahlung nur andere Schäden anrichten wird, der Tumor immer wiederkommt und irgendwann auch streut.


    Bin sehr verwirrt wegen dieser Empfehlung, da sie durch die Stellung des Professors für mich sehr viel Gewicht hat.


    Vielleicht ist die OP wirklich so schwer, aber ich kenne etliche Menschen, die mit 65 Jahren einen deutlich schlechteren Allgemeinzustand als mein Vater haben. Und bei diesem Patientenkollektiv soll es dann wieder sinnvoll sein?


    Ich bin sehr gespannt auf Eure Meinung und hoffe auf viele Antworten.


    Ganz liebe Grüße an alle

    Dieter

  • Guten Abend Dieter, Dieter1. Du bist nunmehr schon geraume Zeit hier registriert und ich unterstelle, dass Du inzwischen in den Beiträgen und Foren gelesen hast. Daher erspare ich Dir die üblichen Worte zur Begrüßung.


    Dein Vater ist 87 Jahre alt und hat eine muskelinvasive Tumorbildung in der Harnblase. pT2a ist eine Indikation zur radikalen Zystoprostatektomie. Das ist die größte Operation im urologischen Trakt des Menschen selbst wenn es zur Anlage eines Urostoma als zukünftige Harnableitung führt. Bei allem Respekt vor den Ausführungen der zitierten Mediziner sollte hier der Wunsch Deines Vaters Priorität genießen. Den von Dir beschriebenen gesundheitlichen Zustand setze ich hier als elementare Bedingung voraus.


    So könnten dem Vater durchaus noch einige Jahre ohne diese Tumorerkrankung beschieden sein.


    Gruß wolfgangm

    05/2009 CIS, 02/2010 pT4 a, G 3, sechs Zyklen Chemotherapie, Gem/Cis, 08/2018 Nephrektomie rechts


    "wer kämpft, der kann verlieren; wer nicht kämpft, hat bereits verloren"

  • Lieber Dieter1 ,


    zunächst möchte ich dich herzlich Willkommen heißen in unseren Forum - meines Erachtens dem besten zu diesem Thema.

    Es freut mich, dass dein Vater in einem solch guten gesundheitlichen Zustand ist. Sicherlich werden sich einige hier zu Wort melden, die dir zur Operation - oder dagegen - raten werden. Ich möchte gerne eines zu Bedenken geben: Je älter ein Patient bei einer Operation ist (und zwar unabhängig von der guten körperlichen Konstitution), desto höher ist das Risiko eines Delirs durch die Narkose (besonders bei einer so langen Operation) - und dies mit bleibenden Folgen. Diese Verwirrung nach einer Operation mit Narkose kann jeden treffen - trifft aber die älteren PatientInnen besonders hart. Und - wie ich schon sagte: Es kann zu dauerhaften Konsequenzen kommen - zum Beispiel zu einer beginnenden Demenz.


    Deswegen denke ich, werden sehr viele Ärzte von einer Operation bei einem so alten Menschen abraten, obwohl es durchaus sein kann, dass dein Vater das Körperliche gut wegsteckt.


    Mein Opa wurde 101 Jahre alt. Noch im Alter von 98 Jahren war er rüstig, hat im Garten gearbeitet, war geistig voll da, hatte noch alle eigenen Zähne, keine grauen Haare und war fast nie krank. Bei ihm wurde sogar ein Gentest gemacht, weil man erforschen wollte, wie er so gesund so alt werden konnte.


    Dann brach er sich den Oberschenkelhals, wurde operiert ... und dann ging es schlagartig und sehr rapide bergab. Er fing an, vergesslich zu werden, seine Erkrankung nicht zu verstehen, immer wieder stand er auf, stürzte erneut, bekam wunde Stellen, ein Bein musst amputiert werden (wegen Blutvergiftung)... und er wurde jeden Tag dementer.

    Wenn ich es nicht selbst (fast täglich) gesehen und erlebt hätte, würde ich es nicht glauben. Aber dieser eine Bruch, diese eine Operation hat aus meinem große, stolzen starken Opa innerhalb von wenigen Wochen zu einem kleinen verwirrten Greis werden lassen.


    Bitte bedenke dieses Risiko, wenn ihr eine so große und schwere Operation erwägt. Ach ja: Und wenn ihr deinen Vater operieren lasst, dann sollte unbedingt jemand Vertrautes beim Aufwachen dabei sein und ihm die Ängste nehmen, die durch das Delir kommen. Wie das allerdings jetzt zu Coronazeiten möglich ist, weiß ich leider nicht.



    Liebe Grüße und alle guten Wünsche für deinen Vater


    Christina

    Ich habe für meine Mutter geschrieben, bei der im Jahr 2008 Blasenkrebs diagnostiziert wurde. Am 10.01.2015 ist sie im Alter von 80 Jahren daran verstorben.

  • Hallo Dieter1

    nun will ich dich auch noch begrüßen. Es ist nun wirklich nicht schön einem 87 jährigen Menschen zur Op zu raten.

    Ich mach das aber, weil ich glaube du beschreibst den Zustand deines Vaters schon realistisch und bist dir auch über evtl. Konsequenzen im klaren.

    Klar bei jeder Op kann was passieren, egal ob jung oder alt.

    Heute gibt es Altersmediziner, die wissen wie man mit älteren Menschen bei Ops umgeht.

    Und was ich als ganz besonders wichtig erachte, es ist möglich eine Narkose ohne das Gasgemisch zu verabreichen. Dadurch wird dieses Durchgangssyndrom ( Delir, wie von Chris1965 beschrieben ) verhindert.

    Mein Mann hat diese Narkose bei seiner letzten Bauchop/Netzeinlage nach Bauchdeckenbruch bekommen und es ging ihm das 1ste mal sehr gut nach einer Narkose. ( da war er 78 Jahre alt )

    Das muß dein Vater evtl. mit deiner Unterstützung mit dem Narkosearzt besprechen.

    Also ich würde eine Blasenentfernung einer Strahlentherapie vorziehen. ( wenn es um meinen Angehörigen ginge ) Wenn Operateuer und Narkosearzt den Gesundheitszustand kennen und zustimmen, würde ich nicht mehr lange zögern. Denn ein pT2a G3 ist schon ein fortgeschrittenes Tumorstadium und gehört entfernt.

    Jeder Tag der vertan wird gibt dem Tumor die Chance sich auszubreiten.


    Ich wünsche dir und deinem Vater, dass ihr zu einer gangbaren Entscheidung kommt.

    Alles Gute, Ricka

  • Hallo Dieter1 ,

    ich sass im Mai 2021 bei der Anschlußbehandlung mit einem Zystektomierten 84 jährigen am Tisch der sich gut erholt hat und im Sommer dann schon mehrere Wochen Urlaub bei sein Tochter machte, die 600-700 km entfernt wohnte, und das mit eigener Anreise per PKW! Und er hatte diverse Vorerkrankungen und konnte von etlichen OPs berichten. Die Ärzte hatten unbedingt zur OP geraten. Das Bestrahlung alleine dieselbe Prognose hat wie die Zystektomie wäre mir neu. Die Trimodale Therapie schaft dass,aber auch nur bei einem streng selektieren Patientenkollegtiv und dann ist wieder Chemo mit im Boot. Bei meiner Zystektomie habe ich 10 kg abgenommen, ist schon gut wenn an etwas zuzusetzen hat. Die OP zum Urostoma dauert +/- 5 Stunden.

    Gruß Dirk

    19.1.21 TURB pT1G3, 60% kleinzellig

    8.2.21 TURB pTaG2

    14.4.21 Zystektomie, Blase o. Befund, k. Chemo

  • Lieben Dank für die ersten Einschätzungen. Alles deckt sich mit meinen eigenen Gedanken zu den Vor- und Nachteilen.


    ricka: vielen Dank auch für den Tipp mit der Narkose ohne Gasgemisch. Das werde ich auf jeden Fall im Hinterkopf behalten, weil ich immer noch darauf hoffe, dass die OP gemacht werden kann.


    Von den Folgen einer Narkose bei älteren Menschen liest man häufiger, aber die Aussicht auf immer wiederkehrende Blutungen, Tumorbefall der Nachbargewebe, Metastasen (vermehrt bei diesem Krebs wohl auch in der Lunge) und dann mit klarem Verstand unter Atemnot dem Tod entgegensehen, sind meiner Ansicht nach noch schlechtere Aussichten. Dann ist ein Delir (bitte nicht falsch verstehen) vielleicht doch eher das „bessere“ Schicksal.


    Mein Vater hat schon einen großen (Über)Lebenswillen und würde dafür auch die Strapazen und Risiken einer OP auf sich nehmen, wenn es denn tatsächlich in seinem Alter eine größere Chance darauf gibt, als geheilt weiterleben zu dürfen.


    @Dirk: vielen Dank auch an Dich für Deine wertvollen Beobachtungen. Meine Hoffnung hatte genau darauf beruht. Wenn die Konstitution stimmt, was spricht dann tatsächlich gegen einen solchen Eingriff?


    Vielleicht kann noch jemand seine Meinung zu der Aussage des Prof. kundtun, eine Bestrahlung sei vergleichbar kurativ wie eine Zystektomie und zwar ohne Chemo? Ich stecke eigentlich kaum in diesem Thema drin, aber nach meinen bisherigen Recherchen kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen.


    Herzliche Grüße

    Dieter

  • Dieses Thema enthält 5 weitere Beiträge, die nur für registrierte Benutzer sichtbar sind, bitte registriere dich oder melde dich an um diese lesen zu können.